Fashion fürs Zuhause: Cocktailwagen

Die Renaissance der Spießigkeit ist in der Mode gerade der „Hot Shit“. Hoch geschlossene Schluppenblusen, trutschige Plisseefalten und nun auch nerdy Brillenbänder. Kitsch und Tanten-Chic, wohin das Auge blickt. Dieser Trend ist – wie die meisten – interdisziplinär und deshalb ist auch im Interiorbereich gerade Omas Einrichtung hip: Samt-Sofas, Blümchentapete, Topfpflanzen. Mein Lieblings-Accessoires dieses Trends: Der Cocktailwagen! Oder auch: Barwagen, Servierwagen, Teewagen – egal, es geht um stilvoll drapierte Getränke.
5520830960151_070_b
Servierwagen in Antik-Optik via Urban Outfitters
Zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe ich ihn vergangenen Sommer im Freunde von Freunden-Apartment. Ein Interior-Projekt des gleichnamigen Interior-Blogazines und sozusagen ein Prototyp für die Einrichtung des hippen Großstädters (Kakteen, dunkles Holz, Messing). Seitdem hat sich der Cocktailwagen als hübscher Gedanke in meinem Kopf festgesetzt, aber da blieb er auch erst einmal. Bei den Münchner Mietpreisen macht man sich ja um jeden verplanten Zentimeter in der Wohnung Gedanken: Bloß keinen Platz verschwenden, ist ja so teuer alles.
Vielleicht liegt es auch daran, dass der Barwagen und ich keine leichte Vergangenheit haben (Schon wieder ein Kindheitstrauma. Das letzte habe ich hier verarbeitet.). Meine Mutter trinkt fast nie Alkohol und wenn, dann in meiner Gesellschaft (mea culpa) auf der Gartenterrasse. Nur einmal, als ich etwa 9 Jahre alt war, hatte sie sich am Abend eine Flasche aus dem Barwagen im Wohnzimmer genommen und sich ein Glas eingeschenkt. Ich kam im Bademantel (Abendprogramm: Baden und Kinderfernsehen) zum Gute-Nacht-Kuss und bin bei dem ungewohnten Anblick zu Tode erschrocken, habe die Flasche beim Vorbeigehen elegant in der großen Bademantel-Tasche verschwinden lassen und zurück in den Barwagen befördert, wo sie gefälligst unangetastet und nur für Gäste stehen sollte. Der Grund meiner Angst: Ich hatte mir am Mittag mit meiner Nachbars-Freundin eine Kugel Eis kaufen dürfen. In der Eisdiele saß eine Frau mit blasser Haut und traurigen Augen. Gehüllt in einen Pelzmantel (im Sommer!) saß sie rauchend und abwesend vor einem Glas Weinbrand. Mein Kinderkopf hatte schnell kombiniert: Alkohol macht Frauen traurig. Meine Mutter hingegen war nun wirklich gar nicht traurig, sondern lachte schallend, weil ich mich für so wahnsinnig geschickt gehalten hatte. Knapp 20 Jahre später steht ihr Barwagen jetzt in meiner Küche.
Photo Credit: www.nummeracht.de (Madam Stoltz), Urban Outfitters
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Tobias sagt:

    find ich zwar auch recht lässig und war tatsächlich auch kurz am überlegen - wirkt sicher cool im Zusammenspiel mit modernen Einrichtungsgegenständen - aber ich habe bereits so einige "vintage-looking"-Stücke wie zB ein Chesterfield-Sofa und einen Kachelofen - daher würde das glaube ich überhand nehmen. Trotzdem stilvoll mit einem Hauch von classic 007 🙂
  • Biggi Braun sagt:

    Hier meldet sich die Urheberin des Kindheitstraumas zu Wort. Ein Cocktailwagen ist auch immer ein Zeichen von Gastlichkeit.

    Außerdem man denke nur an die Fernsehserie Dallas zurück. Was wäre J.R. Ewing ohne seinen Feierabenddrink aus der Hausbar?

    Im übrigen kann ein Wohngegenstand ruhig überflüssig sein, Hauptsache er sieht toll aus. Ausnahme ist natürlich der Schirmständer.


    Mutter