What's next, Vogue?

Die Konferenz Vogue Next fand zum ersten Mal auch physisch statt. Im vergangenen Jahr wurde sie von der deutschen Vogue als Digitalkonferenz eingeführt, dieses Jahr fand sie in München mit eingeflogenen Gästen zum Anfassen statt. Alles drehte sich um Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Diversität und Mut.
Vogue Next Modepilot Bühne Gäste
Im Gespräch (v.l.n.r.): Schmuckdesignerin Saskia Diez, Christelle Capdupuy, Nachhaltigkeitsbeauftragte bei Louis Vuitton, und Model und Aktivistin Arizona Muse
Arizona Muse war mitreißend. Sie ist eines der bekanntesten Models der Welt und nutzt ihre Stimme in der Modeindustrie leidenschaftlich für Nachhaltigkeitsthemen. Klare Worte hatten neben vielen anderen auch Düzen Tekkal, Saskia Diez, Carl Tillessen und Julia Zirpel (Agenda >>>).

Vogue Next-Konferenz in München

Nach dem üblichen Vortrag einer NFT-Sammlerin über Metaverse, NFT und Krypto war die einzige Frage der Jugend im Publikum, wer denn das überhaupt wolle. Die Gen Z wolle reale Treffen, Mensch und Natur. Kerstin Wenig, der Redaktionsleitung von Vogue, war die Anmutung noch zu pixelig und spielemäßig und sie fragte nach der Relevanz. Als eine interessante Ausnahme wurde in einem Panel mit der 3-D-Designerin Kim Berndt DressX vorgestellt. Sie sind verlinkt mit Snapchat, so dass das Outfit hier direkt getragen werden kann. Die Zeit wird zeigen, wer sich einen Avatar und ein digitales Paillettenkleid für 200 Dollar zulegen und am NFT-Schneeballsystem teilhaben möchte. Vielleicht sind wir in zehn Jahren Alle dabei, und die Mode wird zur Hochkultur und digital eine noch nie dagewesene Blüte erleben.

Wie geht Degrowth?

Saskia Dietz, renommierte Schmuckdesignerin aus München, berichtet, wie sie sich gegen den Druck eines namhaften Online-Stores entschieden hat, diesem jedes Jahr 20 Prozent mehr Ware zu liefern. Sie zog es vor, hier nicht weiter zu verkaufen und auf diese wichtige Sichtbarkeit zu verzichten. Sie entschied sich dafür weiter organisch und gesund zu wachsen, anstatt ihr Team und die bis dahin nachhaltige Lieferkette zu strapazieren. Ein starkes Beispiel gegen das aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche rein profitorientierte Leitprinzip „höher, schneller, weiter“. Mit ihrem Nein entschied sie sich für Qualität.

Wie kann Nachhaltigkeit in der Mode gelebt werden?

Die wichtigsten Themen auf allen Panels: Preis und Materialmix, die Menge der produzierten Bekleidung und ihre Entsorgung, und was können wir besser machen?
Rabea Schif im Gespräch mit Moderatorin Modepilot Vogue Next
V.l.n.r.: Moderatorin Rabea Schif im Gespräch mit Nachhaltigkeitsexpertin Julia Zirpel (thewearness.com), Nachhaltigkeitsbeauftragter der Lenzing-Gruppe Krishna Manda und Aurelia Figueroa, Nachhaltigkeitsbeauftragte bei Breitling
Der Preis: In den 80er Jahren kostete ein Mantel ein halbes Monatsgehalt, eine Jeans 150 DM. Diese trug man mehrere Jahre, denn die Garderobe baute aufeinander auf. Man ging ein- zwei Mal in der Saison einkaufen, kaufte dazu, wenn man etwas Neues brauchte. Die Käufer waren treu und die Einkäufer kauften zielgerichtet für ihre Kund:innen ein. In ihrer Größe, passend zu ihrem Kleiderschrank, sie kannten jedes Stück darin. So blieb in den Geschäften kaum ein Stück übrig, die Kund:innen waren perfekt beraten und es bestand nicht die Gefahr, dass zwei Frauen im gleichen Kleid auf eine Party kamen.
Dann eröffneten Vertikale wie Zara und H&M ihre ersten Geschäfte. Die Preise purzelten, die Qualität wurde schlechter und wir haben uns daran gewöhnt, dass Kleidung immer billiger wird und dass wir ständig neue Sachen kaufen. Damit hat jedes einzelne Stück an Wert verloren. Die Rohstoffe sind weniger wertig, wilder gemixt, und wir werfen Mode heute schneller weg. Der Raubbau und die Umweltverschmutzung im Anbau sowie die Entsorgung sind nicht eingepreist.
Modepilot Audi Workshopjanine Dudenhoeffer
Janine Dudenhöffer (the-sustainable-stylist.com) im Audi Workshop der Vogue Next-Konferenz
Materialmix & Recyceln: Über die Blockchain klappt das Recyceln leider nicht so schnell wie gewünscht, sagt Julia Zirpel. Denn auch wenn darin alle Materialien festgehalten sind, landet der Großteil des Modemülls in Afrika und Südamerika. Deswegen müssen wir an einer Lösung arbeiten, die zukünftig auch dort funktioniert.

Was können wir tun?

  • Hochwertig kaufen und privat tauschen, verkaufen oder -schenken.
  • Beim Spezialisten kaufen. Diese kennen ihre Rohstoff-Lieferanten und die Lieferkette. Wir Kund:innen treffen die Entscheidungen darüber, wo wir einkaufen – und vor allem, wo nicht. Seid Euch Eurer Wirkungsmacht bewusst!
  • 60 Teile kaufen wir im Durchschnitt jedes Jahr. Bilde Dich weiter und gib dieses Wissen weiter, dann konsumierst Du automatisch weniger. Passe Deine Wünsche an und frage Dich: Wie will ich in 20 Jahren leben?
  • Der Materialmix spielt beim Einkauf eine Rolle. Am besten sind Wolle und Bio-Baumwolle. Auch Bambus ist ein nachhaltiges Gewächs. Baumfasern wie Tencel und Lyocell sind aufgrund des Hauptlieferanten Eukalyptus nicht nachhaltig. Viskose ist toxisch. Leder ist besser als sein Ruf. Denn es ist per se ein Recyclingprodukt und das langlebigste Naturmaterial, das schon der Ötzi getragen hat. Und da gutes Leder teuer ist, behält man die Stücke länger.
  • Hinterfragt Unternehmen in Sachen Design-Thinking, Wertschöpfungskette und die Abfallwirtschaft. Fordert sie auf mitzudenken und diese einzupreisen.
  • Hinterfragt Euch selbst: Es ist das eine was man sagt, aber etwas anderes was man tatsächlich tut.
  • Werdet Aktivist:in, z.B. wie Arizona Muse. Das Model setzt sich dafür ein, die Art und Weise, wie Kleidung beschafft, produziert und konsumiert wird, radikal zu verändern. Ihre eigene Organisation heißt dirt.charity und steht für biodynamische Landwirtschaft. Denn die Mikroorganismen in einem gesunden Boden wirken Wunder.
  • Wie leben und kommunizieren wir Diversität in unserer Gesellschaft?

    Düzen Tekkal, ist Journalistin, Kriegsberichterstatterin und Expertin für Themen aus Syrien und dem Irak. Sie engagiert sich für Menschen- und Frauenrechte und aktuell für die Unterstützung der Proteste im Iran.
    Modepilot Düzen Tekkal Vogue Next
    Journalistin, Autorin und Kriegsberichterstatterin Düzen Tekkal
    Zu Hause in ihrer Familie erzählte man Geschichten, denn es gab keine Bücher. Dabei lernte sie den Elevator Pitch spielerisch. Denn wer erzählte, musste klar kommunizieren und zur Sache kommen. Als Geschichtenerzählerin berichtet sie bis heute auf den Punkt.
    2014 als Kriegsberichterstatterin im Irak startete sie gleichzeitig die Kommunikation auf Twitter, um ihr Volk zu retten. Deswegen berichtet sie jetzt mit ihren Quellen im Iran und nutzt Social Media. Denn Kriege und Völkermord, die nicht erzählt werden, finden nicht statt. Ihr geht es darum, Impact zu generieren. Denn wir sitzen weiter in unseren warmen Sesseln, während junge Frauen, die gerne so leben würden wie wir, im Iran vom Regime umgebracht werden. Als Aktivistin berichtet sie über diese Geschichten, die sonst im Verborgenen geblieben wären. Sie baut politischen Druck auf, damit sich Dinge verändern.
    Modepilot Kerstin Weng Vogue Next
    Deutsche Vogue-Chefin Kerstin Weng (links) interviewt Kriegsberichterstatterin Düzen Tekkal (rechts)
    Als großes Geschenk sieht sie den Zusammenhalt vieler Journalistinnen. Denn in Zeiten von mächtigen Gegnern braucht es Solidarität. Durch den Zusammenhalt entsteht Wirkungsmacht, die Qualität auf Social Media steigt, es wird politischer und die Themen kommen in die entscheidenden Gremien.
    Uns ruft sie auf: Jede:r von uns ist politisch, kann sich einsetzen. Mischt Euch ein (hawar.help/de/ >>>). Mischt Euch nicht erst ein, wenn ihr betroffen seid. Sie fragt: Wenn wir so viel dürfen, warum machen wir dann so wenig? Der Druck entsteht über die Zivilgesellschaft. Mischt Euch ein!

    Wie geht man verantwortungsbewusst mit Social Media um?

    Beim Kauf von Mode werden für viele die gleichen biochemischen Prozesse in Gang gesetzt wie beim Konsum von Drogen. Das Hirn werde mit Dopamin geflutet, erklärt Carl Tillessen (Deutsches Mode-Institut). Ähnlich verhält es sich, wenn wir uns auf Social Media präsentieren. Studien zeigten, so sagt er weiter, dass der Kauf von Kleidung insbesondere in den jüngeren Generationen zunehmend mit dem Wunsch einhergehe, sich damit im Internet zu präsentieren.
    Jacob Rott von der deutschen Video-Boy-Band Elevator Boys spricht über den Druck der Perfektion, seine Hilfe bei Hass im Netz und wie wichtig mentale Gesundheit im Zusammenhang mit Social Media ist. Bei Hate-Nachrichten ist sein Glück: immer den Rückhalt seiner Gruppe zu haben. Die fünf Jungs unterstützen sich gegenseitig, während viele Menschen der Perfektion, dem Mobbing oder Hass im Internet ohne Rückhalt von Familie und Freunden gegenüberstehen.
    Modepilot Jacob Rott von der deutschen Video-Boy-Band Elevator Boys
    Jacob Rott von der deutschen Video-Boy-Band Elevator Boys
    Für den menschlichen Umgang im Netz kooperiert die Gruppe mit Hate Aid, einer Organisation, die sich gegen Hass und Diskriminierung im Netz einsetzt. Was ist Hass im Internet? Ab wann kann man etwas unternehmen? Wie kann man sich oder andere schützen? Diese Aufklärungsarbeit ist ihnen wichtig. Sie rufen zu digitaler Zivilcourage auf. Wehrt Euch, zeigt Unrecht an und holt Euch Unterstützung. Schaut nicht weg, sondern steht auch im Internet für andere ein.
    Ohne Unterstützung können Erfolgsdruck und Drohungen mental krank machen. Dass auch er als Profi immer wieder mal 600 Aufnahmen braucht, bis das perfekte Bild entsteht, sieht ja auf Social Media keiner.
    Photo Credit: Katja Kleebach für Modepilot, Stefan Bösl für Vogue Next presented by Audi
    Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

    Kommentare

    • Julia sagt:

      Vielen Dank für den tollen Bericht! Es ist so wichtig, dass Nachhaltigkeit immer wieder thematisiert wird und so nach und nach bei allen ein Verständnis dafür entsteht. Eine Sache ist mir aufgefallen, die so nicht ganz richtig dargestellt ist: dass aus Holz (Zellulose) erstellte Fasern grundsätzlich nicht nachhaltig und toxisch sein sollen. Die Firma Lenzing ist spezialisiert auf die extrem nachhaltige Herstellung genau dieser Fasern und zwar in einem geschlossenen Kreislauf, sodass die verwendete Chemie und das Wasser wiederaufbereitet weiter verwendet werden. Tencel ist auch kein Material, sondern die Premiummarke der Firma Lenzing, die die Fasern Lyocell, Modal und Lyocell Filament beinhaltet. Um eine Tencel Zertifizierung zu bekommen, muss man sehr strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen und es wird sehr gründlich nachgeprüft. Daher ist es nicht richtig zu schreiben, dass alle diese Fasern nicht nachhaltig seien. Die zertifizierten sind es, daher ist Aufklärung und differenzierte Information so wichtig

      Also, nochmal herzlichen Dank für die Zusammenfassung und den super Bericht. Macht weiter so!