Hat sich der Modestandort Berlin neu erfunden?

Marcus Kurz ist der Mann für große Fashion Events. Mit seiner Agentur Nowadays betreut er Veranstaltungen von internationalen Marken und als Co-Initiator auch den Berliner Mode Salon, der seit dem Start vor einem Jahr als Highlight-Event der Berlin Fashion Week gilt. Ich treffe Marcus Kurz direkt nach dem Strategiemeeting für die nächste Veranstaltung. Er wirkt tiefenentspannt: „Die letzten 4 Tage waren zum Genießen.“
Seit 2007 hast du das Fashion Week Zelt am Brandenburger Tor betreut, seit dieser Saison konzentriert sich Nowadays auf den Berliner Mode Salon. Warum?
Marcus Kurz: Wir spielen bei dem Berliner Mode Salon in einem Team mit dem Designer und entwickeln hier über Wochen gemeinsam Ideen. Der begrenzende Rahmen sind natürlich die räumlichen Begebenheiten.
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"Das ist Klein-Paris", sagten einige Gäste über die Veranstaltung.
Die Designer müssen sich fragen: Macht man eine Show für 600 Leute oder eine kleine Salon-Show mit 200 Gästen, weil das die relevante Menge an Einkäufern und Journalisten ist? Wir raten meist, macht es kleiner und feiner. Der Fokus liegt auf der Mode und dem Inhalt. Jede Inszenierung, die vom Kern ablenkt, könnte verhindernd sein.
Wir haben große Modenschauen gemacht, wie die Hugo Boss Events in Berlin. Dafür sucht man nach den außergewöhnlichsten Locations für ein Publikum mit 1000 bis 2500 Leuten! Wir waren in der Russischen Botschaft, wir waren im Botanischen Garten, bevor er wieder bepflanzt wurde, oder im Eisstadion. Jede Größenordnung. Aus dieser Erfahrung von Beginn an mit der Fashion Week sieht man: Die Zeiten haben sich geändert.
Große Marken haben riesige Partys gefeiert und genau diese Selbstinszenierung war das Problem von Berlin. Das ist ein Auslaufmodell. Also gab es aus meiner und der Sicht anderer Mitwirkenden nur eine Chance, damit Berlin ein Profil bekommt: Ein Turnaround statt Superlative. Der Berliner Mode Salon ist unsere Antwort.
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Was ist diese Saison schief gegangen?
MK: Es gab diese Saison hinter den Kulissen keine Ausfälle. Aber ich bin immer kurz vor dem Beginn der Modenschauen besonders nervös. Wenn es heißt: „Lights off“. Dann kommt diese wahnsinnig lange Minute, bevor der Intro-Song startet.
Einer meiner Mitarbeiter fragt dann Backstage nach: „Ok, Lichter sind aus. Seid ihr ready? Und dann gibt es 30 Sekunden lang keine Rückmeldung und man denkt: Oh je. Ist das erste Model noch nicht angezogen? Das ist immer mein spezieller Moment.
Bei Augustin Teboul gab es für ein paar Minuten Fahrstuhlmusik, nachdem alle bereits saßen. Dann hat jemand das komplette Raumlicht ausgemacht, alle Kronleuchter waren dunkel und das Publikum fragte sich: Was ist denn hier los? Das war bewusst ein dramaturgisches Mittel und hat sehr gut funktioniert.
Augustin Teboul 2016 2017 Modenschau catwalk Berlin modepilot
Augustin Teboul Herbst/Winter 2016/17
Ich hätte gewettet, du sagst „Nobi Talai war der Horror“. Der Catwalk bestand aus massiven Platten. Sicher ein logistisches Meisterwerk.
MK: Gut beobachtet. Die Herausforderung bestand im Abbau. Wir hatten genau eine Stunde Zeit, um die nächste Show vorzubereiten. Welches Konstrukt, das man nicht einfach ausrollen kann wie einen Teppich oder Folie, soll innerhalb einer Stunde abbaubar sein?
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Der Catwalk bei Nobi Talai erinnerte an eine stilisierte Wüstenlandschaft.
Es ist ein zusammengesetztes Raster, das schon am Donnerstag, also fünf Tage vor der Show, eingebaut wurde. Der Boden musste vor Ort verputzt werden und trocknen.
Der einzige Kritikpunkt an der Gruppenpräsentation am Mittwoch war: Viel mehr teilnehmende Designer dürfen es nicht werden.
MK: Wir haben mit dem Rahmen und der Anzahl definitiv die kritische Masse erreicht. Wir sind der Meinung, diesen Input an Mode mit 50 Designern ist das Maximum, was Journalisten und Einkäufer in 4 Stunden aufnehmen können.
Wir wollen den zeitlichen Rahmen nicht ausweiten, denn er ist wichtig: Ich kann morgens nach Berlin fliegen, zwei Stunden auf die Messe gehen, dann zum Vogue Salon und Berliner Mode Salon und dann hab ich alles gesehen, was an deutschem Modedesign Relevanz hat – für die Damen. Wir verschließen uns den Männern nicht, aber so weit sind wir noch nicht.
Wie ist denn überhaupt der Auswahlprozess der Designer. Kann man sich bewerben?
MK: Es gibt kein Bewerbungsverfahren. Man wird eingeladen. Es sind viele bestehende Kontakte und wir verstehen uns als Gemeinschaft. Viele Redakteure, nicht nur von Vogue, empfehlen uns passende Designer.
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Der Berliner Mode Salon: "Wir verstehen uns als Gemeinschaft"
Und welchen finanziellen Aufwand müssen die Designer betreiben?
MK: Sie müssen ihre Präsentation selbst finanzieren und das ist teilweise aufwendig.
Sprechen wir da von 5.000, 15.000 oder 50.000 Euro?
MK: Wir sprechen in der Regel von kleineren Größenordnungen. Es gibt natürlich Unterschiede. Größere Marken wie z. B. Allude, Odeeh, Escada oder Lala Berlin betreiben etwas mehr Aufwand. Die Mischung muss stimmen.
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Leyla Piedayesh zeigte bei ihrer Show am Vorabend keine klassische Catwalk-Inszenierung, sondern eine Film-Installation und ein Konzert von Jonas Lindstroem. In dem verspiegelten Kaleidoskop im Hintergrund war eine Art Instagram-Box für die Gäste. Am Folgetag wurde es bei ihrer Kollektions-Präsentation im Berliner Mode Salon integriert (auf dem Bild zu sehen).
Was habt ihr schon für die nächste Saison beschlossen?
MK: Wir sind sehr frisch nach der Veranstaltung, aber auch schon kurz vor der nächsten Veranstaltung. Wir werden wieder in Paris zeigen, Anfang März gibt es eine Art Cocktail. Der Abend im September war toll (mehr dazu hier), aber wir müssen mit dem erwartungsvollen Publikum in Paris den Rahmen verändern.
Wir werden einen Showroom mit den Designern gemeinsam organisieren, der allerdings nicht nur als „Der Berliner Mode Salon“ firmiert. Wir haben für den Salon viele internationale Einkäufer angesprochen. Die Ansprache im Dezember war für die Reiseplanung von Vielen zu kurzfristig, andere waren schon unterwegs (Anm. d. Red.: Parallel fanden die internationalen Herrenschauen statt). Diese Leute würden wir natürlich gerne in Paris bei dem Cocktail und im Showroom abholen.
Wer hat noch Hausaufgaben zu erledigen – Einkäufer, Presse, Designer?
MK: Alle! Grundsätzlich ist der deutsche Einkäufer zurückhaltend und will erst einmal eine solide Entwicklung und Beständigkeit einer Marke sehen. Ich wünsche mir eine mutige Gemeinschaft von Einkäufern. Dafür ist das KaDeWe wichtig gewesen; Berlins erste Adresse für Luxusmode. Jeder kann nun vier Wochen lang dort die deutschen Designer des Berliner Mode Salons kaufen. Der Zeitrahmen eines Pop-up-Shops weckt natürlich eine gewisse Begehrlichkeit.
Kommt das denn auch wirklich bei den Kunden an?
MK: Ja. Das gab es letzte Saison bereits und der Pop-up Store hat super funktioniert, sonst würde das KaDeWe es nicht noch einmal machen, das kostet schließlich Geld. Es wird viel verkauft und es war bei unserem Empfang am Donnerstag sehr schön für mich zu sehen, dass dort wirklich Leute mit der Tüte des Berliner Mode Salons rausgehen. Außerdem: Die Designer haben damit auch eine Tür und können ihre Präsentation am Verkaufspunkt anderen großen Stores präsentieren.
Bei einem Besuch des Pop-up-Shops erklärt eine Verkäuferin auf Nachfrage: „Das kommt gut an, einige Teile sind schon ausverkauft.“
Pop-up-shop KaDeWe derberlinermodesalon modepilot
Bis zum 20.Februar.2016 gibt es im KaDeWe einen Pop-up-Shop mit einer Auswahl der Designer des Berliner Mode Salons. Unbedingt vorbeischauen - es ist ein Genuss!
Ich finde diese Saison gab es wenig Gemecker. Richtig?
MK: Wir hatten gestern einen Termin mit einem möglichen Partner und haben erzählt, warum wir uns zusammengetan haben. Das erste wichtige Ziel war es: Dass nicht mehr negativ über Berlin gesprochen wird. Ich denke, dass hat man schon im Januar 2015 bei unserer ersten Veranstaltung gemerkt, aber da wussten noch nicht so viele von dem Konzept. Ich freue mich über Gäste wie Patricia Riekel (Bunte), Petra Winter (Madame), Anja Schwing (Interview) oder Marcus Luft (Gala). Denn es ist keine Vogue-Veranstaltung, sondern eine der deutschen Mode. Das ist diese Saison aufgebrochen. Wir arbeiten ja auch eng mit Anita Tillman (Gründerin PREMIUM Exhibitions) zusammen und sie ist ebenfalls beseelt. Ich denke: Wir haben ein komplett positives Jahr zu verzeichnen.
Während des Gesprächs erzählt er außerdem, wie gut ihm der Talk mit Stefano Pilati gefallen habe und was für ein Glück es war, bei der ersten Mode & Stil-Konferenz den Fotografen Mario Testino begrüßen zu dürfen. Kurz organisierte damals mit Nowadays die Testino-Ausstellung im Kulturforum. Dass Testino selbst ihn als "guten Freund, seit 20 Jahren" bezeichnet, erwähnt er nicht. So viel Stil haben Wenige – zumindest in der Modebranche.
Markus Kurz Modepilot
Markus Kurz ist Co-Initiator des Berliner Mode Salon, stellv. Vorsitzender des Fashion Council Germany und Geschäftsführer der Agentur Nowadays
Photo Credit: PR, Stefan Kraul, Catwalkpictures, Modepilot (I.Braun)
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

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