Was ist los mit deutschen Modemarken? Ein Expertengespräch

Sabine Spieler beobachtet als Fachjournalistin den deutschen Modemarkt seit Jahrzehnten. Sie weiß, was vom Pariser Laufsteg beim Damenausstatter im Schwabenländle landet und hält Trendvorträge bei deutschen Modehäusern. Ihrer Meinung nach verpassen einige Marken gerade den Anschluss, weil sie erst handeln, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen.
Mit Sabine spreche ich über die Herausforderungen und Chancen, denen Modemarken gerade gegenüber stehen.
Sabine_Spieler_Interview_Modepilot
Sabine Spieler

Deutscher Modemarkt

Deutschen Marken geht es – wie anderen Modemarken – gerade und zunehmend schlecht. Handelt es sich um eine allgemeine Entwicklung oder gibt es ein typisch deutsches Problem?
Sabine: „Ich glaube, beides. Mode hat nicht mehr den Stellenwert wie noch vor ein paar Jahren. Lauf GfK (größtes deutsches Marktforschungsinstitut, Anm. d. Red.) war die Konsumstimmung im vergangenen Jahr so gut wie lange nicht mehr, aber die Mode hat davon nicht profitiert. Die Leute fahren lieber in den Urlaub, machen Wellness und geben sehr viel Geld für Essen und Wohnungseinrichtung aus.”
Warum ist das Konsumieren von Mode unattraktiv geworden?
Sabine: „Das hat verschiedene Gründe. Ich vermute, dass die Kleiderschränke pickepackevoll sind, und wir haben halt auch eine große Liberalität in der Mode, nämlich ganz viele Trends nebeneinander. Es ist nicht mehr wie in den 1970ern, als jeder Schlaghosen trug.”
„Es gibt nicht mehr das eine Must-have für den breiten Markt.”
Das ist ja eigentlich eine gute Nachricht. Denn dann hat der eigene Stil über das Trend-Prinzip gewonnen.
Sabine: „Absolut. Ich empfinde die Demokratisierung der Mode auch als Gewinn, aber für das Geschäft ist das nicht zuträglich.”
Wie sollte man als Marke am besten darauf reagieren? 
Sabine: „Was Gucci gut gemacht hat und damit für Veränderungen auf dem ganzen Markt gesorgt hat: Du musst heute eine Kollektion machen, die polarisiert. Es gibt viel zu viele Kollektionen, die sich in der Grauzone bewegen.”
Und damit meinst Du vor allem die deutschen Marken vermutlich.
Sabine: „Genau, die haben oft viel zu wenig Profil. Damit bieten sie zu wenig Mode für zu viel Geld.”
Zu wenig Neues.
„Deutsche Modemarken arbeiten mehr so nach dem Versorger-Aspekt.”
Sabine Spieler Modepilot Experte
Sabine Spieler, www.sabine-spieler.com
Sabine: „Hosenmarken wie Cambio oder Brax machen einen guten Job. Die wandeln Trends für ihre Zielgruppe richtig um. Wenn die deutsche Frau eine passende Hose hat, dann geht sie gezielt los und fragt nicht nur nach der Marke, sondern auch nach dem Modell, das dann z.B. „Agatha” oder so heißt, und immer im Sortiment ist, nur eben in verschiedenen Ausführungen.”
Welche deutsche Marke macht außerdem einen guten Job?
Sabine: „Marc Cain. Die Marke spricht konsequent eine Kundin an, die gern geschmückt herumläuft. So eine Marke darf dann nicht plötzlich auf Max Mara machen. Das ist oft die große Gefahr, dass die Marken ihr Profil aufgeben. Marc O'Polo sollte auch nicht plötzlich auf Gucci machen.”
Wofür steht Liebeskind eigentlich noch? Weiß das noch jemand?
Sabine: „Ja, stimmt. Die waren mal super erfolgreich. Dann wurden sie verkauft und s.Oliver hat das Zepter übernommen. Seither weiß keiner mehr so genau, wofür die Marke steht. Was eigentlich schade ist, weil sie ein ganz gutes Preisleistungsverhältnis hatte: gute Ledertaschen um die 300 Euro. Auch bei Escada fragt man sich, wofür die Marke heute steht.

„Die Marken handeln leider erst, wenn sie mit dem Rücken bereits zur Wand stehen. Dann kann sich der Verbraucher auch nicht mehr erinnern, wofür die Marke einst stand. So ist das bei Liebeskind heute auch.”

Schade, der Name ist gut. Aber es gibt auch keine gute Geschichte dazu, soweit ich weiß.
Sabine: „Das ist auch ein guter Punkt: eine gute Geschichte erzählen können. So Fantasienamen wie Bruno Banani und Enzo Lorenzo aus den 1980ern oder eben Liebeskind funktionieren heute nicht mehr.”
Was ist denn mit den kleinen Labels, die auf Nachhaltigkeit gesetzt haben, und damit an den großen Marken nun vorbei ziehen können, weil diese noch sechs Jahre brauchen, bis sie ihre Produktion darauf umgestellt haben?
Sabine: „Wenn das mal reicht! Aber eine Marke heute in einen Markt zu starten, der nicht mehr wächst; wo es nur noch um Verdrängung geht – das ist schon anspruchsvoll! Aber natürlich bist Du als kleine Marke viel wendiger und es gibt neue Vertriebsstrukturen, z.B. nur noch Online und Direct Sale.”
Direkt über Instagram verkaufen... (In den USA wird ein Instagram-eigenes Bezahlsystem getestet, das den Kauf noch schneller und noch in der App abschließen soll.)
Sabine: „Genau, das wird noch ein riesen Thema. Auch, dass Du mit einem Endkunden direkt kommunizieren kannst, halte ich für einen immensen Vorteil.”
„Mir ist es auch unbegreiflich, wie man als deutsches Label das Thema Nachhaltigkeit so auf die lange Bank schieben kann. Das wird doch immer stärker!”
Wie reagieren die Markenbetreiber, wenn Du sie darauf aufmerksam machst?
Sabine: „Die sagen dann: 'Ja, damit müssen wir uns mal auseinandersetzen'. Aber eigentlich musst Du Dich damit schon jetzt beschäftigen, damit Du in zehn Jahren, oder sagen wir fünf Jahren richtig aufgestellt bist.”
Müsstest Du als Marke nicht längst schon soweit sein?
Sabine: „Das ist ein großes Thema, aber es verhält sich wie mit dem Fleisch: Es gibt mehr Vegetarier, aber auch nur an der Spitze der Bewegung. Insgesamt ist der Fleischkonsum in Deutschland wieder gestiegen. Und so interessiert sich der Otto Normalverbraucher auch erst einmal nur dafür, wo er das Kleidungsstück möglichst günstig herbekommt.”
Also ein Label, das vor fünf Jahren auf Nachhaltigkeit gesetzt hätte, wäre heute vielleicht bankrott?
Sabine: „Ja, ein Label, das ausschließlich darauf gesetzt hätte, vermutlich schon, oder zumindest hätte es nicht den erhofften Gewinn gemacht.”
Weil der Kunde lieber ein ähnliches Produkt für ein Fünftel des Preises kauft – womit wir wieder bei der Austauschbarkeit/Profilschwäche wären – auch wenn Material und Produktion fragwürdig sind.
Sabine: „Die deutschen Kunden gelten als sehr preisbewusst, extrem schwierig. Die Gruppe, die teuer einkauft – also aktuell Gucci, Balenciaga und Off-White – ist sehr klein. Und man muss ganz klar sagen: Zara & Co. machen einen echt guten Job.”
Nicht lange her, da galten Deutsche noch als qualitätsbewusst. Im Vergleich zu anderen Ländern, mussten Onlineshops auf ihren deutschen Seiten genaue Materialangaben dazu schreiben, weil die Kunden das hier für ihre Kaufentscheidung benötigten. Wenn man sich jetzt das Angebot ansieht, hat man das Gefühl, dass Material und Qualität nicht mehr so wichtig sind.
Sabine: „Ja, das ist so. Zum einen, weil hochwertige Stoffe wie Seide, Leder oder Wolle viel teurer wurden. Bei Seide ist der Preis im Einkauf um 20 Prozent gestiegen. Den Preis können die Marken an ihre Kunden nicht weitergeben, weil diese nicht bereit sind, soviel mehr für eine Bluse zu bezahlen. Viele deutsche Marken bieten überhaupt keine reine Seide mehr an.”
Den Kunden stört das nicht?
Sabine: „Da teilt sich der Markt. Du hast halt die, denen es nur darum geht, ein möglichst modisches Teil in einer Ok-Qualität zu haben. Und dann gibt es die, denen es um die Qualität geht, und die kaufen jetzt weniger. Das ist die Gruppe ab 30, ab 40 Jahre aufwärts.”
Und dann wundert man sich, wie viel Polyester selbst bei den teuren Designerlabels verwendet wird.
Sabine: „Das ist auch noch so ein Punkt. Das kannst Du vergessen, dass es bei Designern die Qualität automatisch besser ist.”
Weil deren Kundinnen zum Teil einen Sachverstand auf Pimkie-Niveau haben – Zumindest sieht es auf der Maximilianstraße manchmal so aus.
Sabine: „Haha. Bei vielen von denen fließt vor allem viel Geld ins Marketing, ja.”

Würdest Du heute eine Modemarke gründen?

Würdest Du heute eine Modemarke grün...
Sabine: „Nein! Wenn, dann würde ich vielleicht eine schöne Kleiderkollektion oder eine schöne Blusenkollektion machen. Es gibt keine schöne Kleiderkollektion für Kleider zwischen 300 und 350 Euro, vielleicht bis 400 Euro, aber dann in einer Topqualität.”
Wie würdest Du das Geschäft aufbauen?
Sabine: „Ich würde mir Gedanken machen, wie ich den Vertrieb aufstelle. Ich finde es ganz spannend mit Instagram; dass man die Sachen da jetzt direkt kaufen kann. Und ich würde nicht in Bangladesh oder Pakistan produzieren lassen, sondern in Europa, z.B. in Portugal.”
Und eine kleine, instagramtaugliche Boutique auf dem bezahlbaren Land betreiben?
Sabine: „Du, die Boutiquen auf dem Land sind erfolgreich im Vergleich zu jenen in der Stadt, weil die noch einen ganz engen Draht zu ihrer Kundschaft haben.”
Photo Credit: Sabine Spieler
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Alex sagt:

    zu wenig Mode für zu viel Geld - das ist hier der Schlüsselpunkt!
  • Betina sagt:

    Ein super Interview, Sabine trifft den Nagel mal wieder auf den Kopf.