Warum Off-White noch cooler als Vetements ist

Virgil Abloh im Interview − Wie viele erfolgreiche Designer kommt Off-White Designer Virgil Abloh von der Street Wear. Er arbeitet an seinem Label, aber auch an jenem von Kanye West. Und er tritt als DJ in Clubs auf und entwirft Möbel. Er steht niemals still. Ein bisschen vermisst man das Verträumte bei ihm, das Sensorische, das einen in  Stoff gewordene Träume hüllt. Aber vielleicht ist das einfach nicht in die Zeit passend.
In diesem Interview, das zuerst im ODDA Magazine (12. Ausgabe) erschien, verrät er, warum er eines Tages gern für eine große Luxusmarke arbeiten würde.

Virgil Abloh im Interview

Virgil Abloh Modepilot
Virgil Abloh (links) nach seiner Modenschau für Off-White, Anfang 2016
Frage: Was beeinflusst Deine kommenden Kollektionen? Trump und was gerade in der Politik passiert?
Abloh: Ich weiß nicht, ob es zwingend politisch ist. Dafür gibt es woanders mehr Raum. Lieber entwickele ich Dinge basierend auf einer Zeit in der Geschichte. Ich wünsche mir, dass die Leute in drei, fünf oder zehn Jahren über die Kollektion sagen: 'Oh, ich erinnere mich, das war die Headline des Tages.'
Frage: Du betätigst Dich in vielen, verschiedenen Bereichen. Was war Deine erste Leidenschaft als Du aufwuchst: Mode, Musik... oder etwas anderes?
Abloh: Ich genieße es einfach immer, mich mit Kultur auseinanderzusetzen. Das Medium ist dabei nicht wichtig. Mich auszudrücken ist mir wichtig. Wenn ich mit Ölfarbe umgehen könnte, würde ich wohl das nutzen, um zu kommunizieren.
Off/White Model Virgil Abloh
Off-White, Herbst/Winter 2017
Frage: Du bist jetzt 36 Jahre alt. Da frage ich mich, wie es Dir gelingt, am Ball dieser jungen, coolen Energie zu bleiben, die ja schließlich die Essenz Deiner Marke ausmacht. 
A: Mir gefällt der Ausdruck 'Millennial'. Erst vor Kurzem wurde mir klar, dass ich immerhin ein 'Millennial' bin. Denn es ist in Wahrheit keine Altersgruppe, sonder die Art zu Denken.
Frage: Ein Geisteszustand….
Yeah. Aber auch, wenn Du es auf eine Altersgruppe herunter brichst, gibt es ein paar Dinge, die in unserem Leben passiert sind: das Internet, Social Media, und die Art, wie wir wahrnehmen, wie sich die Welt fundamental verändert. Wenn wir uns all diesen Veränderungen anpassen und sie annehmen können, dann können wir auch Entscheidungen treffen, die ganz natürlich in die Zeit passen.
Frage: Ich höre von jedem, dass Du ständig auf dem Sprung bist, non-stop. Was ist Deine Lieblings-App, welche schaust Du Dir ständig an? 
A: Vermutlich Instagram.
Frage: Aber selbst postest Du da nicht viel.
A: Ne, ich schaue bloß! Mitzumachen finde ich komisch. Ich schaue mir Instagram als ein Kulturgut an. Als Art Director verwende ich es, um Geschichten zu erzählen. Aber ich mache mir überhaupt nichts daraus, daran selbst zu partizipieren. Es war ein Zeitvertreib und ist so etwas wie ein nervöser Tick von mir geworden.

Instagram Stalker

Frage: Du bist ein Instagram Stalker!
A: Yeah, ich beobachte hier gern. Wenn Du ein Kreativer bist, ist das ein super Ort, um in einen Dialog zu treten. Mir geht es hier nicht um Follower.
Frage: In der Vergangenheit hast Du darüber gesprochen, dass Du eines Tages vielleicht ein großes Luxushaus leiten möchtest. Ist das noch aktuell? 
A: Ja, und ich habe auch schon Ideen. Du weißt, dass Off-White ein unabhängiges Projekt ist. Es erfährt keinerlei Unterstützung von außen. Und es ist auch nicht in der Geschichte verankert. Und das ist es, was mir an der Idee gefällt, ein großes Haus zu leiten. Meine Marke ist so im Hier und Jetzt eingebettet und diese Marken haben eine Geschichte, ein volles Archiv − das reizt mich. Es würde mich interessieren, wie ich so eines mit neuen Ideen überarbeiten könnte.
Frage: Was war das erste Mode-, bzw. Luxusmarken-Ding, das Du Dir geleistet hast?
A: Das war definitiv ein Luxusmarken-Ding, vermutlich was von Louis [Vuitton] oder Gucci…
Frage: Im Ernst, Du bist direkt zu Gucci und Louis Vuitton gegangen?
A: Ja, ich kannte mich da immer aus und war verrückt nach Luxusmarken. Ich war auch immer an Mode interessiert. Da bin ich ganz Konsument. Diese Marken halfen mir dabei, an der Kunst der Mode Interesse zu finden.

Was beeinflusst Deine Mode?

Frage: Inwiefern haben Dich Deine Eltern ästhetisch beeinflusst?
A: Meine Mutter war 60 Jahre lang oder so Näherin. Also wuchs ich auf und sah, wie Kleider geändert wurden oder erst entstanden. Aber ich würde nicht sagen, dass mich das direkt beeinflusst hat, in dem was ich jetzt tue. Es war mehr die Skateboard Szene und Hip-Hop-Musik und Rap Videos, was mich am meisten beeinflusste, als ich in den Neunzigerjahren aufwuchs.
Frage: Als Jemand, der gern im Hier und Jetzt lebt: Was denkst Du von der 'See Now, Buy Now'-Strategie, die gerade so heiß diskutiert wird?
A: Für mich ist das keine neue Idee. Das ist nicht so etwas wie eine Modeversion des iPhone7. Es geht vielmehr darum, ein Produkt anzubieten, das die Leute haben möchten. Und, wenn sie es wirklich haben möchten, dann spielt es keine Rolle, ob es nagelneu ist und man es sofort haben kann, oder ob man drei Monate darauf warten muss. Wenn Menschen etwas wirklich haben möchten, dann sind sie auch bereit zu warten. Vielleicht bin ich aber auch der am wenigsten Konsumenten-verstehende Designer überhaupt. Ich schaue mir keine Zahlen an, um Dinge verkaufen zu können, also tue ich schon, aber ich lasse mich davon nicht irritieren.
Lieber mache ich mir Gedanken darüber, wie ich Leute herausfordern kann mit meinen Entwürfen.

'Man muss nur die richtige Idee zur richtigen Zeit haben.'

Frage: Und Du magst es, Kooperationen einzugehen, mit anderen Menschen und mit Marken, wie z.B. mit Moncler.
A: Mir gefällt es, Dinge zu vergleichen und mit einem anderen Wertesystem in Kontrast zu setzen. Und, wenn die Marke, mit der ich arbeite, in etwas richtig gut ist, dann kann es die beste Kombination aus Idee und Umsetzung werden.
Frage: Da Du immer auf der Suche nach etwas Neuem bist; eine neuen Richtung für Dein Label: Was fasziniert Dich zur Zeit? Wovon bekommst Du nicht genug?
A: Was mich gerade wirklich umtreibt: Wie wird Street Wear künftig aussehen? Oder wie sieht die Zukunft der Mode aus? Und wie jene für den Handel? Dinge, die ich nicht weiß, faszinieren mich immer am meisten.

Was kommt in Mode?

Frage: Welche Richtung wird die Mode einschlagen?
A: Ich denke, sie wird sich immer gegen das richten, was gerade ist. Wenn jenes in der einen Saison gerade cool ist, dann wird es in der nächsten uncool sein. Die Reaktionszeit wird einfach schneller.
Frage: Denkst Du, dass es so schnell sein wird, dass es sich wieder zurückwendet und langsamer wird? 
A: Ne, es wird einfach immer schneller werden. Es wird so schnell gehen wie ein Instagram Upload dauert.
Ich würde wetten, dass 'die guten alten Zeiten', in denen alles langsamer war, nicht zurückkehren werden. So funktioniert die Gesellschaft nicht.
Frage: Viele der Bilder auf Deiner Mode sind ziemlich provokativ. Ist das Absicht? Möchtest Du Deine Kleidung als einen auslösenden Moment für eine Diskussion verstanden wissen?
A: Ich möchten nur etwas erschaffen, das ein Gefühl herauf befördert. Sonst wird es langweilig, Dinge zu tun, die keine Bedeutung haben. Ich probiere Dinge aus... Wer weiß, wohin es einen bringt. Es ist wie visuelle Kommunikation: Ich versuche, etwas zu tun, das etwas bedeutet.

Immer alles auf den letzten Drücker

Frage: Wie sieht der Designprozess aus?
A: 24/7, rund um die Uhr. Es hört nie auf.
Frage: Du machst Damen- und Herrenmode, Kooperationen und Möbeldesign. Wie hältst Du das alles auseinander? 
A: Abgabetermine. Erst wenn etwas fällig wird, kann ich Prioritäten setzen und erledigen. Es ist eigentlich nicht so schwierig, man muss nur die richtige Idee zur richtigen Zeit haben.
Frage: Machst Du Moodboards oder erstellst Zeichnungen?
A: Beides. Also Computer, Bilder, Scanner,... Ich habe eine Art Photoshop in meinem Gehirn.
Frage: Welches Emoji verwendest Du zu oft?
A: Das Warenzeichen™. Es ist zweifellos mein Lieblingssymbol. Es ist quasi der Markenkern meines Labels. Allein durch seinen Gebrauch lässt es Dinge offiziell erscheinen − ein sehr mächtiges Zeichen.
Frage: Wie beeinflusst Dich Dein Architekturstudium?
A: Es beeinflusst alles, zu 100 Prozent. Das ist meine Grundlage. Das architektonische Konzept ist Basis für meine Sensibilität als Designer.

Was kommt als Nächstes?

Frage: Was kommt als Nächstes? Neben der Mode… Was ist der nächste Punkt auf Deine Liste?
A: Nichts eigentlich, was ziemlich perfekt zeigt, wie ich funktioniere. So ticke ich. Ich mache alles in Echtzeit. Da rede ich nicht groß drüber oder träume davon, ich tue es einfach, weil alles andere eine Zeitverschwendung wäre. Heute kannst Du buchstäblich alles machen, und das meiste davon mit Deinem Telefon. Ich denke, was mich von einem 'normalen Menschen' unterscheidet, ist meine Fähigkeit jeden Tag als eine Gelegenheit zu betrachten, etwas Neues zu tun.
Frage: Du scheinst sehr im Moment zu leben.
A: Ich wüsste nicht wie sonst. Meine Arbeitsmoral ist wirklich hoch. Ich weiß gar nicht, wie man chillt. Eine Woche frei zu nehmen, nur weil meine Arbeit stressig ist und ich mich relaxen sollte, käme für mich nicht in Frage. Es ist wirklich ein Geisteszustand. Normale Menschen erledigen nicht so viel, aber mir gibt das eine Befriedigung. Ich wache jeden Tag auf und weiß, was ich tun möchte. Ich synthetisiere die Realität und mache daraus Kleidung und andere Dinge. Das macht mir viel Spaß!
Frage: Was hältst Du von der alles bestimmenden Street Wear in der Mode momentan?
A: Es ist aufregend, ich liebe es! Ich habe Glück, dass ich an diesem Punkt meiner Karriere, an dieser Konversation teilhaben kann. Dabei spiele ich keine übergeordnete Rollen, ich denke, das tun wir alle gemeinsam (Demna [Gvasalia] Alessandro [Michele], J.W. Anderson)… Das sind meine Zeitgenossen.

Kanye West in sein bester Freund

Frage: Ich weiß, dass das ein sensibles Thema ist. Aber, als ich meine Recherche machte, tauchten ständig diese Referenzen zu Kanye West auf. Freust Du Dich auf den Tag, an dem man Deinen Namen nicht mehr mit seinem in Verbindung bringt?
A: Nein, er ist mein Freund, mein bester Freund. Er ist der talentierteste und kreativste Person auf der Welt. Das ist nie etwas Schlechtes, um in Verbindung gebracht zu werden. Wir haben 15 Jahre lang zusammen gearbeitet. Wir stecken da zusammen drin. Genau genommen, gehören wir hier gar nicht hin. Wir sind zwei Kids aus Chicago, die da nicht rein geboren wurden. Wir sehen auch gar nicht so aus wie die Leute in der Modeindustrie. Jetzt gibt es zwar mehr von unserer Sorte, was toll ist. Aber wir haben gerade beschlossen, unsere Stimme bestimmten Dingen und einer Kulturbewegung zu leihen.
Photo Credit: Catwalkpictures
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

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