Warum man "Dior und ich" sehen muss

"Dior und ich" - eine Filmkritik

Kinostart: 25. Juni 2015, Kinoübersicht
Von der Presse hochgelobt, von der Modewelt gefeiert – wenn die Erwartungen so hoch sind, wie jene an die Dokumentation „Dior und ich“, dann kann es nur in einer Enttäuschung enden. Handwerklich sicherlich einwandfrei, eine gute Unterhaltung für eine Modejournalistin, aber nicht allzu intim, so meine Erwartung. Modehäuser wie Dior kontrollieren jede Berichterstattung. PR-Ladys müssen jedes Zitat in einem offiziellen Prozess beim Headquarter anfragen. Kein Foto wird ohne Freigabe an Zeitungen weitergegeben – das weiß ich aus eigener, unangenehmer Erfahrung, seit ich als Praktikantin ein Portrait von Raf Simons für einen Artikel anfragen musste – und mehrfach scheiterte. Im Zeitalter von sozialen Netzwerken und Livestreams wirkt diese Erinnerung wie ein Ammenmärchen.

"Dior und ich“ ist die moderne Antwort auf die Demokratisierung der Modewelt

Dieser Kino-Film ist vermutlich die klügste Marketing-Maßnahme seit langem, um einem breiten Publikum die Wertigkeit eines Luxushauses in höchst stilsicherer Weise zu präsentieren: Den Dokumentations-Auftrag erhielt Regisseur Frédéric Tcheng von Dior. Der öffentlichkeitsscheue Raf Simons selbst hatte zunächst abgelehnt, sich filmen zu lassen. Nach einigen Überredungskünsten gewährte er Tcheng ("Valentino: The Last Emperor", "Vreeland: The Eye has to travel") eine einwöchige Probezeit, die er bestand.
Also läuft die Kamera schon von dem Augenblick an, als Raf Simons 2012 neuer Chef-Designer des Haute-Couture Ateliers wird und er verunsichert die ersten Hände als „der Neue“ schüttelt. Dann, nach nur acht Wochen, statt der üblichen sechs Monate, bearbeitet er mit dem Fusselroller seine allerersten Haute Couture Roben kurz vor der Show backstage.
Raf Simons über seinen Stil:
„ Ich bin kein Minimalist, auch wenn die Öffentlichkeit mich dazu macht“
Raf Simons über seinen Stil:
„ Ich bin kein Minimalist, auch wenn die Öffentlichkeit mich dazu macht“
Eingewoben in die Geschichte von Gründer Christian Dior, der der Sage nach hin und wieder als Schatten im Atelier umhergeistert, zeigt die Dokumentation die hingebungsvolle, nervenaufreibende Arbeit der fleißigen „petites mains“ an der Kollektion sowie die Unternehmenszwänge zwischen forderndem Kreativ-Chef Simons und zahlenden Kundinnen. Simons ist fassungslos, dass die erste Schneiderin der Roben, der Schatz jedes Couture-Hauses, kurz vor einer wichtigen Show-Anprobe für seine Haute Couture-Premiere  zu einer Kundin für eine Korrektur geschickt wird. Von zehn versprochenen Kleidern ist kein einziges termingerecht für ihn fertig, das Atelier steht still. „Wenn eine Lady pro Saison Kleider für 350.000 Euro bestellt, werde ich sicher keine Anprobe verwehren“, argumentiert die Direktorin der Dior Haute Couture. Auch in der märchenhaften Traum-Welt der hohen Schneiderkunst geht es am Ende um Profitabilität.
dior atelier haute couture
Der glamouröse Beruf des Haute Couture Designers ist einem durchschnittlichen Job erstaunlich ähnlich. Der Designer, dessen Werk wir anbeten, kämpft mit Selbstzweifeln und dem eigenen Anspruch. Er muss ein neues Team für sich gewinnen (ein holpriger Weg), den hoffnungsvollen Erwartungen seines Arbeitgebers gerecht werden (Sidney Toledano, CEO Dior, und Bernald Arnault, CEO von LVMH) und sich mit seinen Vorgängern messen.
„Dior und ich“ ist nicht pompös. Vielmehr ist der Film eine stille und tiefe Beobachtung. Raf Simons zeigt sich nachdenklich, erleichtert, nervös und manchmal sogar wütend . Er zittert, er diskutiert und er weint. Die Dokumentation blickt tief in die Seele des Modehauses Dior. Aber noch tiefer in die von Raf Simons. Das berührt selbst jeden Mode-Verachter.
Meine 5 Lieblings-Zitate aus „Dior und ich“
 
Photo Credit: Catwalkpictures, Dogwoof (PR)
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Kommentare

  • Charity Heels sagt:

    Der Bericht macht neugierig. Ich hätte mir den Film ohnehin angesehen, aber jetzt erst recht und ganz bestimmt 😉

    Danke und liebe Grüße

    Bianka mit k von https://shop.charity-heels.de/index.php/


  • Efz sagt:

    Feiner Bericht! Danke! Will schon wieder ins Kino.
  • Eva sagt:

    Ein schöner Bericht, mal wieder ... danke!

    Und mehr von Dior oder über Dior und Raf Simons gucken kann allen die Mode wirklich lieben nur gut tun ...


  • Sibylle sagt:

    Hallo,
    Arbeite für Dior. Danke für die gefühlvolle Filmkritik. Wo läuft der Film? Sicher nicht Mainstream!?
    • Isabelle Braun sagt:

      Liebe Sibylle, ausnahmsweise schon 😉

      Google einfach mal "Dior und ich+Kino"

      Dann sollten dir Kinos in deiner Nähe angezeigt werden.


      Hier findest du auch eine Übersicht: http://goo.gl/ExGk9q