Sind NFTs das neue Kleine Schwarze oder eine riskante Anlage?

NFT, Krypto, Blockchain* − die deutsche Modewoche zieht von Berlin nach Frankfurt und wieder zurück, die internationale Welt der Mode ins Metaverse. Hier entsteht eine neue Kultur aus Kreativen, Kryptopunks und Investoren.
Das ist für die Modeindustrie eine neue Möglichkeit, auch das Silicon Valley, die Gaming Industrie, hippe Kreative sowie ihre Angel Investors (bisher alle in schwarzen T-Shirts und Rollis) als neue Kunden zu gewinnen. Dabei wird diese digitale Mode, auf die ich gleich näher eingehen werde, gern mit Nachhaltigkeit in Zusammenhang gebracht. Ich werde neugierig und recherchiere für Modepilot.

NFT − mit freundlichen Grüßen

Museen erhalten bereits NFT-Werke als Schenkungen für ihre Sammlung. In der Mode werden sie gesammelt  wie Sneaker oder Couture. Aber anfassen kann man sie nicht, diese 'non fungible tokens'. Es sind nicht teilbare, dafür eindeutig zuordenbare, digitale Wertmarken. Dank der dafür verwendeten Blockchain-Technologie sind sie nachweislich einzigartig und fälschungssicherer als Kunstwerke oder Designermode.
Modepilot NFT Dr Martens Mode
Der erste rein digitale Schuh von Dr. Martens entstand in Zusammenarbeit mit Trashymuse, einer digitalen Fashion Community
Seit dem letzten Sommer werden ständig neue NFT Coups verkündet. Im September 21 hat als erstes Luxushaus Dolce & Gabbana neun NFTs exklusiv auf der Plattform UNXD versteigert: ausverkauft, mit einem Rekordergebnis von umgerechnet 5,6 Millionen Dollar. Einige NFTs gab es im Set mit dem maßgeschneiderten physischen Objekt und bei allen gab es den Zugang zu weiteren besonderen Erlebnissen und Schauen gleich dazu. Exklusivität und Insiderzugang, Kundenbindung par excellence in der digitalen Welt, wo abseits der Blockchain alles vervielfältigt werden kann.
Dolce Gabbana NFT Modepilot
Ein Kleid aus der ersten NFT-Kollektion von Dolce & Gabbana
Auch Balenciaga, Ralph Lauren, Burberry und Gucci experimentieren, genauso wie die Sportgiganten Nike und Adidas. Wer hat die Nase vorn? Wer erreicht die Hippness der NFT Community? Adidas mit seiner BoredApeYachtClub (BAYC) Kollaboration oder Nike mit dem Kauf von RTFKT, einem jungen Unternehmen, das sich auf das Design digitaler Sneaker spezialisiert hat? Mich interessiert dabei: Wie funktioniert das Ganze, warum investieren die großen Marken, wer sind die Kunden und ist das wirklich nachhaltig?

Schneeballsystem

Zunächst floppte der Verkauf der derzeit teuersten NFT Kollektion der Welt, der im April 2021 startete. Erst durch geschickte Vermarktung an die NFT-Unternehmer McNelis und Pranksy, die hier als Vertriebsweg in Promi-Kreise fungieren, wurde eine extreme Preissteigerung und der Hype um die NFT Affen-Comicbildchen-Reihe des exklusiven BAYC kreiert.
Wie ein Schneeballsystem, oder der „NFT-Virus“, verbreiten sich die Affenbilder nun und machen die Käufer süchtig nach mehr. Alle haben ein großes Interesse daran, NFTs als Medium zu promoten, denn alle verdienen bei solchen Deals kräftig mit, solange der Schneeball läuft. Und Marken wie Adidas nutzen diesen Trend für ihre eigene Hippness und Aufmerksamkeit. Sie verkauften im Dezember 30.000 NFTs für zu diesem Zeitpunkt umgerechnete 20 Millionen Dollar. Virtuell tragen kannst Du sie im Videospiel The Sandbox. Echte Hoodies werden in diesem Jahr dazu nachgeliefert.

Virtuelle Mode als Geschäftsmodell

Nike hingegen hat im Dezember 2021 eines der innovativsten Designstudios für virtuelle Luxus Sneaker gekauft. RTKFT wurde 2020 von einem talentierten Kreativteam gegründet und hat im vergangenen Jahr 600 Paar virtuelle Sneaker für 3,1 Millionen Dollar verkauft, über 5.000 Dollar pro Paar! Virtuell tragbar über eine Snapchat AR-Linse, konnten sie auf dem NFT Marktplatz OpenSea gekauft und direkt vom eigenen Avatar auf der Metaverse Plattform Decentraland getragen werden. Als Hintergrundinfo: Snapchat bietet derzeit die besten Augmented Reality Visualisierungen für das virtuelle Anprobieren und Tragen von Kleidung und Schmuck an.
Würdest Du für einen Sneaker so viel Geld ausgeben, wenn Du ihn nur in einem „Land“ tragen kannst? Und wird Decentraland die beliebteste Plattform im Metaverse sein?
Der virtuelle Immobilienmarkt läuft derzeit heiß, Gucci kaufte gerade Land in „The Sandbox“. Den Gucci Garden findest Du allerdings im Spiel „Roblox“, Ralph Lauren NFTs auf „Roblox“ oder „Zepeto“ und Burberry in „Blankos Block Party“. Balenciaga designt Skins, wie schon LV in 2019 für League of Legends, und echte Produkte für Epic Games‘ Fortnite und seine 400 Millionen-Community. Um diese neuen Zielgruppen zu erreichen sehen viele Marken eine Metaverse-Strategie und digitale Mode heute als Muss (>>>). In 2021 lancierte LV somit ein eigenes Spiel mit NFTs.

Mehr Möglichkeiten für Designer

Der Fantasie sind also keine Grenzen gesetzt, ganz wie auf dem Laufsteg. Konzeptionelle, wunderbare Träume, deren Allure uns Logo-Pullis, Handtaschen und Turnschuhe verkauft, ermöglicht auch das Metaverse. Nur kann es diese noch fantastischer und traumhafter, ohne das allgemeine Nachhaltigkeitsproblem der Mode, liefern. Im Metaverse muss man nichts mehr physisch herstellen.
iridescence rein virtuelles Kleid Modepilot NFTs
Das erste rein virtuelle Kleid von The Fabricants in Zusammenarbeit mit DapperLabs
Digitale Modemarken wie the Fabricant, Metafactory, Auroboros, DressX oder eben RTFKT entwerfen maßgeschneiderte Unikate und ihre Möglichkeiten sind revolutionär. Ihre Designer können ihre Kreativität ohne physische Barrieren wie Schwerkraft, Zweckmäßigkeit, Farbe, Form oder Material entfesseln. Und wir Kunden können einzigartige virtuelle Luxus-Garderoben zusammenstellen und uns im Metaversum völlig neu inszenieren und kreativ ausleben.

Kurzlebige Trends ins Metaverse verlagern

Wenn wir dann alle zukünftig im realen Leben mehr nachhaltige Basics kaufen, diese länger tragen und alle modischen, kurzlebigen Fashion Teile auf das Metaverse verlagern, reduzieren wir Transportkilometer, Wasser-, Chemie-, und Rohstoffverbrauch, und sparen CO2, Energie, Plastik und anderen Müll. Die Energie, die für NFTs und das digitale Geld Ether beim mining für die Ethereum Blockchain aufgewendet wird, auf der fast alle NFTs gespeichert sind, ist derzeit jedoch enorm. Eine Transaktion verbraucht so viel Strom wie ein 2-Personenhaushalt in einem Monat.
Heute ist digitale Mode demnach nicht nachhaltig, zukünftig soll jedoch auch sie CO2 neutral sein.
Spannend in der ganzen NFT-Geschichte ist auch, wer kauft und investiert. Als Dolce & Gabbana die Rekordsumme verkündete, gehörten zu den Käufern einige der weltweit führenden NFT-Sammler und -Unternehmer: Boson Protokol, Pranksy oder Red DAO.
Der virtuelle Glasanzug von Dolce & Gabbana wurde für über eine Million Dollar an Boson Protocol verkauft
Boson ist eine dezentrales Netzwerk für den Onlinehandel und will den digitalen Glasanzug und die Krone von Dolce & Gabbana als Startschuss für eine eigene Sammlung nutzen. Red DAO ist eine Kryptogruppe, die mit ihren Mitgliedern die aufstrebende Welt der digitalen Wearables und Mode unterstützt und digitale Kleidungsstücke kauft, archiviert, sammelt und in Gegenstände investiert. Pranksy ist ein NFT-Wal. Er kauft beim Einstieg in neue Kollektionen hohe Stückzahlen, schenkt ihnen mit seiner Prominenz Aufmerksamkeit, generiert Nachfrage und steigert somit den Wert der Kollektion und sein eigenes Vermögen.

Jeder Kauf eindeutig nachvollziehbar

Aufgrund der Transparenz der Blockchain ist jeder Kauf und Verkauf nachvollziehbar. So konnte man gerade auch verfolgen, dass Melania ihre eigene NFT Kollektion gekauft hat. Die Meldung wurde mit dem Kauf für einen anonymen Kunden begründet. Wenn Du mehr hierzu wissen möchtest, lese https://omr.com/de/bored-apes-yacht-club-bayc/ oder folge Pranksy unter https://opensea.io/Pranksy
Allgemein ist zu sagen: NFTs sind sehr spekulativ. Denn der größte Teil ihres Wertes stammt aus der Community und dem Hype, den der Erwerb von NFT-Walen, Promis und Künstlern kreiert und die Preise weiter in die Höhe treibt. Wenn sie dann jedoch komplett abverkaufen und weiterziehen, ist die Kollektion wertlos. Ein Werteverfall, den dann alle anderen schultern müssen. Die Frage ist also, wie viel Spaß macht Dir die digitale Mode? Ist die Kreation allein die Investition wert, wenn aus dem Boom die nächste Blase wird, wie seinerzeit bei Second Life? Die nächste Frage ist, wo investiere ich? Gala Games, The Sandbox oder Decentraland gibt es schon, wie viele virtuelle Maximilianstraßen wird es noch geben?
JP Morgan sagt dem Metaverse glänzende Geschäftsmöglichkeiten voraus und hat selber eine Lounge im Metajuku Shopping-Distrikt in Decentraland eröffnet. Auch wenn sich der Börsenwert von Roblox gerade wieder mehr als halbiert hat.

Erste Fashion Week im März 2022

Die Verflechtungen in der NFT-Welt sind eng, die Partnerschaften fließend. Am 24. März 2022 eröffnet − somit nach der Fashion Week in New York, London, Mailand und Paris − die erste Fashion Week auf Decentraland. Gemeinsam mit UNXD laden sie Designer, Marken und Fashionistas zu Musik- und Fashion-Shows, After-Partys und Pop-up-Shops ein. Das ist eine Chance für Marken, das Metaverse zu testen und für uns, virtuell bei den Schauen dabei zu sein.
Boson Protocol wird auch da sein − Ich bin gespannt, welche kreativen Köpfe sich zeigen, derzeit ist als einzige Marke HUGO aus dem Hause Boss bekannt. Aber vielleicht setzt sie ja damit als erste Marke auf einen Zukunftsstandort.

*Glossar

NFT – Ein einzigartiger digitaler Vermögenswert, der im Internet gehandelt und auf der Blockchain gespeichert ist. Berühmte NFT Kollektionen, tragen Namen wie CryptoPunks (zuerst lanciert 2017) und BoredApeYachtClub (2021). Aufgrund von COVID verlagerten sich die Modewochen 2020 in die digitale Welt. Kurz darauf sehen wir die ersten Fashion NFTs von RTFKT, Gucci, LV, D&G, Burberry und vielen neu entstandenen Marken. Es herrscht Goldgräberstimmung.
Lion Crown Dolce Gabbana Modepilot
Die NFT-Löwenkrone von Dolce & Gabbana
Blockchain – Eine dezentrale Datenbank, die gleichzeitig auf einer Vielzahl von Rechnern vorliegt. Damit ist sie unveränderlich und fälschungssicher. Alles was einen Wert hat, kann durch die transparente und vollständige Information schnell verfolgt und gehandelt werden. Die meisten NFTs werden aus Sicherheitsgründen auf der Ethereum Blockchain mit der Kryptowährung Ether gehandelt. Sie ist deswegen leider auch die teuerste. Eine neue FASHION Blockchain ist AURA. Die drei Häuser LVMH, Prada und Richemont haben sich zusammengetan, um gemeinsam eine Plattform für Echtheit, Transparenz, Historie und Kundenservice anzubieten. Früher eine nicht denkbare Kollaboration!
Gas fees – Wenn Du ein Konto anlegst oder einen Handel auf der Blockchain abschließt, sind Gebühren fällig. Denn Kryptovorgänge brauchen viel Strom. Es ist also, wie wenn Du mit Deinem Auto fährst, es braucht Sprit. Du tankst in der Kryptowelt gas fees. Auf Ethereum liegen sie bei 50 bis 200 Dollar pro Vorgang.

Der Handel

Crypto Wallet - Um zu handeln, entscheide Dich für eine der vielen Wallets. Im echten Leben wählst Du bei Deiner Geldbörse zwischen Eastpak, Prada oder Louis Vuitton. Hier geht es um Fragen wie Software oder Hardware, hot oder cold, Desktop oder mobil, multiple coin sowie Sicherheitsfeatures. Eine der beliebtesten Wallets für Ethereum ist Metamask. Ein Allrounder kann z.B. Coinbase sein.
Crypto Exchange – Auf dem Kryptomarktplatz kaufst Du Deine Währung. Ob Coinbase, Binance, Kraken oder Gemini, um nur ein paar zu nennen. Es ist eine eigene Welt. Kryptowährungen sind extrem volatil. Der Bitcoin BTC schwankte im letzten Jahr zwischen 30.000 Dollar und 64.000 Dollar. Ethereum ETH zwischen 1.400 Dollar und 4.800 Dollar. Als ich ihn das erste Mal in 2017 beobachtete, lag er bei 120 Dollar. Je nach Einstiegszeitpunkt ein schöner Höhen- oder schmerzhafter Sinkflug. Das Timing zählt.
NFT Marktplatz – Du willst ein NFT kreieren, verkaufen oder kaufen? Dies sind im Bereich Fashion und Kunst die beliebtesten Marktplätze: https://opensea.io/, https://rarible.com, https://superrare.com/ Hier kannst Du dann auch sehen, was andere so machen, wenn sie nicht über anonyme Konten traden: https://opensea.io/Pranksy

Metaverse Plattformen

Das Metaverse ist ein virtuelles Universum mit verschiedenen virtuellen Plattformen, die auf der Blockchain laufen, die Gaming Welt revolutionieren und InvestorInnen mit Play-to-earn Möglichkeiten begeistern und anziehen. Du kannst dort spielen, ein Fantasieleben kreieren, interagieren, handeln und experimentieren. Die populärsten Plattformen sind Roblox https://www.roblox.com/ (Gründung 2004, Währung Robux), wo Du in über 20 Millionen Spielen teilnehmen oder Dein eigenes kreieren kannst.
Auf Decentraland https://decentraland.org/ (Gründung 2017, Währung Mana) kannst Du Land kaufen und ein virtuelles, fantasievolles 3D-Leben aufbauen, an Musikfestivals oder der Fashion Week und vielen anderen Events teilnehmen.
The Sandbox https://www.sandbox.game/en/(Gründung 2012 als Spiel, Währung Sand) sieht ein wenig aus wie Minecraft, hat über 150 namhafte Partnerschaften abgeschlossen. Landbesitzer wie unsere Bekannten BAYC und Pranksy trifft man hier auch. Die Immobilienpreise schießen zum Mond, also fröhlich im Sandkasten spielen und vom florierenden Geschäft profitieren?
Die Konkurrenz droht von Plattformen wie Spatial https://spatial.io/, Nakaverse https://nakaverse.games/ oder der Zepeto Spiele-App https://zepeto.me/. Spielen bedeutet abzuwägen, auszuprobieren, neugierig zu sein. Das Potential und die Chancen sind riesig, die Risiken auch.
Photo Credit: Dr. Martens, Dolce & Gabbana, Julien Boudet @bleumode

Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

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