Maison Alaïa nach 5 Jahren mit neuem Kreativchef

Am Sonntag zeigte der belgische Modedesigner Pieter Mulier seine erste Kollektion für die Maison Alaïa in Paris. Das war ein Tag bevor dort die Haute Couture Schauen begannen. Allein damit lässt Mulier den Geist des vor viereinhalb Jahren verstorbenen Modeschöpfers Azzedine Alaïa weiterleben. Denn auch der geborene Tunesier und Wahlpariser hielt sich nicht an Schauenkalender. Er zeigte dann eine Kollektion, wenn er sie für abgeschlossen und gut hielt.
Und Mulier ordnet seine Debütkollektion auch nicht etwa den üblichen Saisons Frühjahr/Sommer oder Herbst/Winter zu. Stattdessen widmet er seine Kollektion, in der Ready-to-wear und Couture gemischt sind, dem Winter und Frühjahr 2022. Und so soll es auch fortgeführt werden. In circa einem halben Jahr sehen wir dann Sommer/Herbst 2022.

Maison Alaïa, Winter/Frühjahr 2022

Muliers Entwürfe der Debütkollektion feiern das geistige Eigentum Alaïas. Er bringt uns die elegante Kapuzenmode aus den frühen Achtzigerjahren zurück und auch die Catsuits und Kleider, die wie eine zweite Haut sitzen, scheinen plötzlich wieder in unsere Zeit zu passen. Das ist das Schöne an dieser Kollektion, die sich vor allem an dem Schaffen zwischen Mitte der Achtziger- und Mitte der Neunzigerjahre orientiert. Sie bringt uns alles Geliebte des „kleinen Prinzen”, wie Alaïa wegen seiner Körpergröße von 1,56 m genannt wurde, zurück und ist dabei genau das, was wir jetzt tragen möchten. Denn Mulier schafft es sehr wohl – bei aller Treue zum Archiv –, Neues zu schaffen.
„Da ist das Tüllkleid, das ich überall suche!”, schrieb mir etwa meine Freundin und Süddeutsche-Stilkolumnistin Julia nach der Show. Weltweit wird Mulier gerade von ModejournalistInnnen wie Kundinnen gefeiert.
Alaia Modepilot Kapuzenmode 2022
Erinnert an einen typischen Alaïa-Entwurf, ist aber ein komplett neuer: Pieter Mulier für die Maison Alaïa, Winter/Frühjahr 2022

Pieter Mulier: Wer ist das?

Wer ist diese perfekte Besetzung für einen der meist begehrtesten Jobs der Modebranche? Pieter Mulier arbeitete 20 Jahre lang an der Seite von Raf Simons. Erst unterstütze er ihn als Praktikant. Doch bald schon wurde er seine rechte Hand und begleitete Simons zu Jil Sander, Christian Dior und Calvin Klein. Bei Calvin Klein war er zuletzt unter Simons Kreativchef der Damenmode. Dann gingen beide 2018 zurück nach Belgien. Aber Mulier begleitete Simons 2020 nicht zu Prada.
Im Februar dieses Jahres wussten wir dann auch warum: Er hat den schönsten Job der Modewelt bekommen. Bescheiden und stolz zugleich tritt Mulier in die Fußstapfen eines Mannes, der, wie er sagt „immer das Gleiche tat, aber jedes Mal besser. Das ist das Gegenteil von dem, was die Modewelt heute tut. Immer muss alles neu sein. Das macht die Schönheit dieses Hauses aus.”

Das geistige Erbe Azzedine Alaïas wird fortgeführt

Stattdessen huldigt Mulier wie Alaïa den Frauenkörper als formgebende Skulptur und formt mit festen Stretchstoffen und breiten Taillengürteln noch etwas nach – doch immer im Sinne der Kundin. Sie fühlt sich geliebt und unterstützt. Die Stoffe, gestrickt, lackiert, plissiert, perforiert oder mit Schrägschnitt versehen, folgen unseren Rundungen aufs Wohlwollendste.
Alaia Modepilot 2022
Skulptural und weich fließend zugleich: Pieter Mulier für die Maison Alaïa
Alaïa, der Bildhauerei studierte und parallel in die Schneiderlehre ging, liebte es, für alle Frauen um ihn herum – viele reisten mit ihm bis zuletzt überall hin – perfekte Kleider zu kreieren. Dass Pieter Mulier, der Architektur studierte und mit Simons eher verkopft und konzeptionell unterwegs war, nun auch mehr mit dem Herzen und dem Bauch entwirft, zumindest so scheint es, ist eine schöne Überraschung. Vermutlich ist es schlicht pures Können, bestes Handwerk (zusammen mit Alaïas altem Team) und der nötige Respekt vor einer so bedeutsamen Nachfolge. Andere Designer können das leider oft nicht so gut.
Übrigens war Raf Simons, wie andere bekannte Designer, darunter Matthew Williamson und Valentino-Designer Pierpaolo Piccioli, bei der Show am Sonntag unter den vielen prominenten Gästen. Gegenüber Modejournalistin Suzy Menkes sagte er vor Beginn der Show: „Es ist verrückt, ich bin aufgeregter als bei meinen eigenen Präsentationen. Ich hoffe nur, dass sich das Wetter hält und es nicht zu Regnen anfängt.” Die Show fand im Freien statt, auf der Rue de Moussy, einer kleinen Straße im Marais, wo Alaïa lebte und arbeitete. Das Wetter hielt.
 

Alaïa-Mode 2022

Dicke Nieten auf Netzkleidern und enger Kapuze sind – zusammen mit dem an der Seite geschnürten Kleid aus rotem Lackleder noch das Gewagteste an der Kollektion. Alles andere werden wir in Paris wie in London, Berlin, und sogar in München sehen. Allem voran die Jeans-Outfits und die schwarzen Anzüge zu Beginn der Show. Aber auch die neuen Strickstretch-Suits und die bereits erwähnten Mesh-Kleider mit Stehkragen und eingearbeitetem Brust-Sichtschutz. Nur die Schuhe bleiben, egal wie flach sie jetzt teilweise wurden – leider, leider – unbequem. Aber dafür stand Alaïa ja noch nie.
Photo Credit: Catwalkpictures
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

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