Ready-to-speak: „glass cliff”

Zu Deutsch: Gläserne Klippe. Aus aktuellem Anlass möchte ich auf den Begriff „glass cliff”, bzw. „Gläserne Klippe”, näher eingehen. Denn heute wurde bekannt, dass Condé Nast Deutschland 20 bis 30 Stellen abbauen soll. Der GQ-Chefredakteur nahm gleich den Hut. Erst in diesem Frühjahr trat erstmals eine Frau an die Spitze von Condé Nast-Deutschland: Jessica Peppel-Schulz. Lange musste nach einer Nachfolge für Moritz von Laffert gesucht werden. Männer (nicht alle) lehnten dankend ab.
In verschiedenen Studien, die seit 2005 veröffentlicht werden, wird das Prinzip der 'Gläsernen Klippe' belegt. Es besagt, dass ein Unternehmen, das in einer Krise steckt, eher zu einer weiblichen Lenkerin greift. Doch nicht, weil diese das Ruder etwa leichter rumreißen könne, sondern weil ihr eine erfolgsversprechendere Aufgabe oft verwehrt bleibe. Stabile Unternehmen wählen nach wie vor eher Männer für ihre Führung aus. Woran liegt das?

Erst durch die gläserne Decke, doch dann auf die gläserne Klippe

Das Bild einer gläsernen Klippe wurde 2005 erstmals verwendet. Es folgt auf das der gläsernen Decke. Beide zeigen die Diskriminierung von Frauen, wenn es um die Besetzung von Spitzenjobs geht. Durch die gläserne Decke sieht die weibliche Angestellte zu höheren Positionen hoch, die für sie aber unerreicht bleiben. Bekommt sie dennoch den ersehnten Chefposten, so handelt es sich dabei oft nur um ein vermeintliches Sprungbrett zum Erfolg: eine gläserne Klippe. Es sind Jobs, in denen man wenig reißen kann.
Abbau statt Aufbau. Jeder hätte gern Erfolgsgeschichten in seinem Lebenslauf, aber manche müssen in den sauren Apfel beißen: Frauen. Aus Ermangelung besserer Alternativen begeben sich Frauen also oft auf gläserne Klippen und fallen – anders als scheiternde Männer – nicht weich. Denn ihnen fehlt das Netzwerk, das männliche Führungskräfte stets auffängt. Zu diesem Schluss kommt die Wirtschaftswissenschaftlerin Sylvia Ann Hewlett, deren Artikel in der Harvard Business Review veröffentlicht wurde.

Glass cliff: Erst nach den goldenen Zeitschriftenjahren darf eine Frau ran

Zurück zu Condé Nast: Die glorreichsten Jahre durfte Bernd Runge bespielen, von 1997 bis 2008. Dass auch er in den heutigen Zeiten keinen Print-Titel erfolgreich machen kann, bewies er erst kürzlich mit dem Interview Magazine. Auch wenn es inhaltlich mehr hergibt als jeder deutsche Condé Nast-Titel, kommt es auf keinen grünen Zweig.
Bei Condé Nast lancierte er noch ein Heft nach dem anderen, bis er den deutschen Markt für eine wöchentliche Erscheinungsweise von Vanity Fair überschätzte und damit zuviel Geld verballerte. Auf ihn folgte Sparfuchs Moritz von Laffert. In den ersten Jahren hatte er es leicht, denn es gab viel zu sparen. Dafür holte er sich Lorbeeren ab. Dann wurde es auch ihm zu viel und er ging im vergangenen Jahr.
Das Ruder rumreißen wollte auch ich dann („Wer folgt bei Condé Nast auf Moritz von Laffert?”). Aber das ist natürlich nur möglich, wenn es einen sinnvollen Spielraum für Investitionen gibt. Schaut man sich in anderen Condé Nast-Ländern um, sieht es allerdings düster aus: Es wird eingestellt (Glamour in den USA) und zusammengelegt.

Umstrukturierungsmaßnahmen oder einfach nur bitterer Sparkurs?

Künftig soll es jeweils einen Markenverantwortlichen für die noch verbleibenen Condé Nast-Titel geben, wie Meedia heute berichtet. Dass das Anlass für den heutigen Abgang von GQ-Chefredakteur Tom Junkersdorf sein soll, gibt zu denken. Chefredakteur und Markenverantwortlicher – das war für mich bislang immer eins, also wenn ich an Chefredakteure wie Anna Wintour denke, die vermutlich die beste Event-Ausrichterin der USA sein dürfte (Met Gala).
In unserem Land sieht das anders aus. Zu lange wurde an der Druckerschwärze gerochen, und das haptische Gefühl von raschelndem Papier gefeiert. Dann musste Vogue seine Partys plötzlich in Outletcentern feiern, weil woanders nicht mehr so schnell Geld zu holen war, um einen schwerfälligen Apparat am Laufen zu halten. Merchandise-T-Shirts wurden erst gedruckt, als das Logo schon nicht mehr sexy war, und dann auch noch als Billigware verkauft (nicht die Heilbrunner-Koop!) und das in Zeiten von Nachhaltigkeitsdebatten! Die Glasklippe begann schon zu schmelzen, als Peppel-Schulz noch gar nicht begonnen hatte.
Nächsten Dienstag präsentiert die Managerin ihr Umstrukturierungskonzept, das sie „Beautiful Growth” nennt. Möge es zu einem – wasauchimmer – Wachstum führen und, wenn nicht, dann möge ihr eine alte Studienkollegin dabei helfen, dass ihre Karriere keinen Schaden davon nimmt.
Photo Credit: Catwalkpictures
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Kommentare

  • Uschka sagt:

    Liebste Kathrin, brava für den Artikel! In der Wirtschaft ist das glass cliff ein bekanntes Phänomen, auch wenn viele Männer behaupten, es sei nur Theorie, ein Mythos. Ich empfehle dazu den weblink http://www.allbright-stiftung.de für alle, die mehr wissen wollen. Mach weiter so: beherzt, wohlwollend und mit Courage!
    • Kathrin Bierling sagt:

      Danke, liebste Uschka! I've learned from the best 😉 Dein Kommentar bedeutet mir viel – vermisse unseren Austausch. Wir sehen uns viel zu selten!