Ex und Kleid

Wann ist man soweit, sich von einem Kleid zu trennen? Ich sehe eine Gemeinsamkeit zwischen dem Anhäufen unpassender Kleider und dem Nicht-loslassen-können von Ex-Freunden: die Hoffnung. Man hofft, die Frau zu werden, zu der das Kleid eines Tages doch noch passt. Man hofft, die richtige Frau für diesen einen Mann zu werden. Man ist fest davon überzeugt, dass es für die Beziehung zum Kleid und zum Ex nur eine Extraportion Mut braucht. Aber tief im Inneren sollte man wissen, dass es sich um eine Illusion handelt. Irgendwann muss man handeln: beides für andere freigeben.
Schrank frei, Kopf frei. Mich von Kleidern zu trennen, fällt mir vergleichsweise leicht. Hängen sie zu lange im Schrank herum, ohne getragen zu werden, werden sie ausgemistet. Dann sind sie auch schnell vergessen. Wie Männer, die einem nicht gut tun. Aber der eine Ex bleibt hängen. Ihr wisst schon: Dieser Ex, an den man auch noch denkt, wenn man seit zehn Jahren glücklich verheiratet ist. Dieser Ex, bei dem einem immer das Herz in die Hose rutscht, wenn man ihm begegnet oder wenn der Name auf dem Handydisplay erscheint. Schluss damit! Schluss mit den Sehnsüchten, die mir den Kopf verstopfen!

Gute Kleider und Ex-Männer bitte frei geben

Sollen ungetragene Kleider und der Ex-Freund ruhig andere Frauen glücklich machen, damit ich Platz für mein Kleid und meinen Mann habe. Hey, dafür müsst Ihr auch welche freigeben!
Oh, Ihr wisst nicht, welches Kleid und welchen Ex Ihr hergegeben sollt? Kenne ich. Also ich habe es so gemacht: Jedes Könnte-ich-mal-tragen-Kleid einfach angezogen und damit rausgegangen. Dann schreit das Kleid: Ich gehöre nicht zu Dir, gib mich frei! Der Ex-Freund drückt sich freilich nicht so verständlich aus, aber vergleicht man ihn mit dem Kleid, das man zum Secondhandladen bringt, fällt auch diese Entscheidung leicht. Man fragt sich: Sind wir ein gutes, ehrliches Paar?
Dann kommt die Belohnung für die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber: Ein paar Wochen später gehe wieder zum Secondhandladen und hole mir ein paar hundert Euro (steuerfrei!) ab. Ich sehe eine Kundin, die sich gerade in die unglaublich schönen Céline-Schuhe verliebt, von denen ich mich getrennt habe (ihr stehen sie viieeeel besser als mir). Auf dem Heimweg treffe ich den Ex-Freund. Strahlend, mit seiner neuen Freundin. Ob sie ihm so gut steht wie die Céline Schuhe der Kundin eben? Schwamm drüber. Ich freue mich, drehe ich mich nach einem Mann um, lächele ihn an. Befreit.

Rückfall

Gut, als ich den Ex (wieder von der neuen Flamme getrennt) alleine traf und dieser wieder Besseres zu tun hatte, als den restlichen Tag und das restliche Leben mit mir zu verbringen, erwischte ich mich bei dem Gedanken, dass alles anders gekommen wäre, wenn ich nur diesen einen Mantel angehabt hätte, den ich gerade verkauft habe.
„Wäre" und „hätte“ liegen jetzt auf dem Komposthaufen. Dort sollen sie vermodern. Damit Neues entstehen kann. Ich meine, schon grüne Triebe darauf sprießen zu sehen.
Photo Credit: Collage: Isabelle Braun/Modepilot
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