Neues vom Beauty Pro: Porentief nachgefragt

Warum wir Antioxidantien brauchen

Kurz vor meiner Sommerpause möchte ich noch auf ein Thema eingehen, das jetzt in den Sonnen-Monaten im wahrsten Sinne brandaktuell ist: freie Radikale und ihre Gegenspieler Antioxidantien. Es muss noch nicht mal ein Sonnenbrand sein, schon die UV-Strahlung allein lässt in der Haut Unmengen von freie Radikale entstehen. Diese extrem aggressiven Zellzerstörer können wir wirksam bekämpfen – mit Antioxidantien aus Nahrung und Pflege.
Freie Radikale sind nicht grundsätzlich böse. Der Körper selbst produziert sie während verschiedener Stoffwechselprozesse. Und das macht durchaus Sinn. Beispielsweise nutzt sie das Immunsystem um Bakterien, Viren oder entzündliche Prozesse in Schach zu halten. Daher sind sie wichtig für bestimmte Körperfunktionen und erwünscht. Auch ist der Abwehrmechanismus des menschlichen Körpers normalerweise in der Lage, mit einem gewissen Übermaß an freien Radikalen fertig zu werden. Doch unser moderner Lifestyle überfordert ihn heillos.
Bottega Veneta Sommer 2020 Modepilot
Bottega Veneta, Sommer 2020
Neben der UV-Strahlung begünstigen Alkohol, Rauchen, das Einatmen von Umweltgiften und sogar blaues Licht von Smartphone, Tablet und Co. die Entstehung dieser zeltschädigenden Moleküle. Die körpereigene Abwehr kann die Aggressoren nicht mehr ausreichend eliminieren. Man spricht von oxidativem Stress. Die Zellen werden funktionsuntüchtig. Es kommt nicht nur zu vorzeitiger Hautalterung, sondern ist auch der Anfang vieler Gesundheitsprobleme.

Gefährliche Elektronenräuber

Um die Bedeutung von Antioxidantien zu erkennen, muss man die Wirkweise der freien Radikale verstehen. Diese sauerstoffhaltigen Moleküle sind von ihrer chemischen Struktur her instabil, weil ihnen ein Elektron fehlt. Um vollständig zu werden, suchen sie nach einem Ersatz. Dabei gehen sie aggressiv und ungeheuer schnell vor. Es dauert nur 0,000 000 000 01 Sekunden bis sie einen geeigneten Bindungspartner gefunden haben. Diesem intakten Molekül, das kann aus der Zellmembran, von einem Protein oder der DNA sein, entreißen sie das benötigte Elektron.
Dieser Elektronen-Raub wird als Oxidation bezeichnet. Es folgt eine Kettenreaktionen. Das bestohlene Molekül ist nun ebenfalls unvollständig, also ein freies Radikal, und macht sich seinerseits auf die Suche nach einem Opfer. Je höher die Konzentration an diesen Killer-Molekülen, desto massiver wird der oxidative Stress und somit auch die Schädigung im Körper. Je nachdem welche Moleküle betroffen sind, kann es zu eingeschränkten Zellfunktionen kommen. Ist die Membran geschädigt, tritt der Zelltod ein. Bei DNA-Schäden ist eine unkontrollierte Zellteilung (Entstehung von Krebs) die Folge. Und vieles mehr.

Potente Zellschützer

Antioxidantien sind Gegenspieler der freien Radikale. Sie machen sie inaktiv und damit unschädlich, indem sie sie um das fehlende Elektron ergänzen. Aber wer genau sind diese Radikalfänger? Man unterteilt die wirksamsten Antioxidantien in fünf Gruppen: Vitamine, Mineralien, Enzyme, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe (Phytochemikalien).
Einen kleinen Teil an Antioxidantien kann der menschliche Organismus selbst herstellen in Form von Enzymen. Der bei Weitem größere Anteil muss mit der Nahrung aufgenommen werden. Besonders antioxidantienreich sind Gemüse, Salat, Kräuter, Früchte, Sprossen (Linsen-, Sonnenblumenkern-, Brokkoli-, Gersten-, Weizensprossen, etc.), Wildpflanzen wie Löwenzahn, Giersch, aber auch Ölsaaten und Nüsse sowie naturbelassene Öle und Fette. Vitamin C und E in Obst und Gemüse sind die Antioxidantien, die uns als erstes in den Sinn kommen. Ihrer Verstärkung dient der sekundären Pflanzenstoff Polyphenol, z.B. in Traubenkernen und grünem Tee.
Tipp: Essen Sie Obst und Gemüse möglichst mit Schale, da sich die wertvollen Antioxidantien oft direkt unter der Schale befinden. Spurenelemente wie Zink, Magnesium und Selen sollten zusammen mit Enzymen aufgenommen werden, um ihr antioxidatives Potential voll zu entwickeln.
Neben alpha-Tocopherol (in Pflanzenölen wie z. B. Weizenkeimöl), das zur Vitamin-E-Gruppe gehört, gelten die sog. Tocotrienole (in Palm- und Kokosöl) als sehr potent. Sie sollen eine bis zu 40-fach stärkere antioxidative Wirkung als alpha-Tocopherol besitzen. Seitdem mache ich jeden Morgen eine Ölziehkur mit Kokosöl zur Mundhygiene.

Aufnahme über Nahrungsergänzungsmittel?

Am effektivsten zur Neutralisierung freier Radikale ist eine Mischung möglichst vieler Antioxidantien. Dass man zu viele davon im Essen zu sich nimmt, steht nicht zu befürchten. In Nahrungsergänzungsmitteln sollten ebenfalls immer mindestens zwei Antioxidantien enthalten sein. Allerdings sollte man diese in Absprache mit seinem Arzt einnehmen, um eine generelle Überdosierung zu vermeiden. Wasserlösliche Vitamine (B und C), die der Körper nicht verwertet, sind kein Problem; sie werden über die Niere ausgeschieden. Fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) können bei längerfristiger Einnahme in zu hohen Dosen Kopfschmerzen, Übelkeit und gesteigerte Blutungen hervorrufen.

Antioxidantien für die Haut

Ein Übermaß an freien Radikalen führt in der Haut zu Zell- und Gewebeschäden. Kollagen wird zerstört. Es zeigen sich Falten, sie wird fahl und schlaff. Immer mehr Pflegeprodukte wie Cremes und Seren sollen den oxidativen Stress in der Haut bekämpfen. Denn Antioxidantien wirken nicht nur von innen, sondern auch von außen. Am häufigsten eingesetzt werden Vitamin C zum Schutz des Zellinneren und E für die Zellwände sowie das Coenzym Q10. Omega-3 (Fisch), Omega-6 (Sojaöl) und Omega-9 (Nüsse) wirken sich glättend auf die Hautoberfläche aus. Besonders effektiv sind sie in Kombination mit Retinol.
Auch Glutathion, Superoxid-Dismutase und Ubiquinol haben antioxidative Wirkung, Beta-Glucan mildert Rötungen, bzw. Reizungen. Sogenannte Anti-Pollution-Komplexe sind so formuliert, dass sie einen Schutzfilm gegen Feinstaub und andere Umweltbelastungen über die Haut legen. Und nicht zuletzt können Produkte mit Lichtschutzfaktor die Entstehung von freien Radikalen verhindern und so die Haut schützen.
Aber von Antioxidantien in Verbindung mit UV-Schutz mal abgesehen ist es schwer nachzuweisen, dass die Wirkstoffe mit Radikalfänger-Qualitäten auch dorthin gelangen, wo sie in der Haut benötigt werden. Das Problem ist zweifach: Erstens, was im Labor 'in vitro' wirkt, trifft nicht unbedingt 'in vivo' zu. Selbst wenn die antioxodative Qualität einer Substanz in Studien nachgewiesen ist. Dass diese von der Haut absorbiert werden kann, hängt von der Formulierung des Produkts ab. Zweitens sind Antioxidantien an sich eher fragil. Sobald sie Licht, Luft und Temperaturschwankungen ausgesetzt sind, werden sie schnell inaktiv und damit nutzlos für die Haut.

Erforschte Wirkstoffe

Die beste Studienlage zur Wirksamkeit von antioxidativen Stoffen existiert zu Vitamin C, oft auch als L-Ascorbinsäure oder Vitamin C-Ester gelistet. Es trägt dazu bei, dass die Haut vermehrt Proteine herstellt und gleichzeitig deren Abbau verlangsamt. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Oberflächenstruktur nach drei Monaten verbessert. Abhängig ist der Erfolg allerdings von der Konzentration des Vitamins in der Creme. Und da die Wirkung sich oft schon innerhalb weniger Stunden verliert, wenn sie Licht und Luft ausgesetzt ist, ist der Schutz vor oxidativem Stress nicht immer gegeben.
Ein hautverjüngender Effekt ist ebenfalls bei Vitamin A (Retinol) nachgewiesen. Noch 20 mal stärker soll Tretinoin sein, ebenfalls aus der Gruppe der Retinoide, die verschiedene Varianten von Vitamin A umfasst. Wie bei Retinol kann es bei sensibler Haut anfänglich Irritationen verursachen. Deshalb die Konzentration (erhältlich von 0,02 bis 0,1 Prozent) langsam steigern. Nur nachts auftragen und tagsüber Sonnenschutz, weil Tretinoin die Haut lichtempfindlicher macht. Retinol steckt inzwischen in vielen Hauptflegeprodukten, während Tretinoin in Deutschland, zumindest nur in der Apotheke erhältlich und oft verschreibungspflichtig ist.

Erforschte und neue Wirkstoffe

Zu den gut erforschten Antioxidantien gehört außerdem Vitamin E, das die Haut befeuchtet und den Heilungsprozess beschleunigt. Ferulic wirkt gegen Sonnenschäden und ist am effektivsten zusammen mit Vitamin C and E. Coenzym Q10 gehört zu den wenigen antioxidativen Stoffe, die der Körper selbst herstellt. Allerdings nimmt die Produktion mit dem Alter ab. Deshalb kann eine Substitution sinnvoll sein, um die Elastizität und Textur der Haut zu verbessern. Niacinamide (Vitamin B3) optimiert den Tonus und hilft gegen Pigmentflecken. Unter den Phytoextrakten sind grüner und weißer Tee, Kaffee, Calendula und Rosmarin am bekanntesten. Resveratrol in einer Verbindung aus Trauben, Beeren, rotem Wein und Tee bildet einen wirkungsvollen UV-Schutz und wirkt anti-inflammatorisch.
Ein relativer Newcomer in der Hautpflege ist Kurkumin, ein Polyphenol, das in der Gelbwurz (Kurkuma) vorkommt. Ihm werden anti-inflammatorische sowie hautaufhellende Qualitäten zugeschrieben.

Die beste Wahl

Experten empfehlen, ein Produkt zu bevorzugen, das mehrere antioxidative Wirkstoffe enthält. Weil sie eine höhere Aktivität besitzen und dadurch effektiver wirken können. Also mehr ist mehr in diesem Fall. Außerdem sollte man verschiedene Präparate ausprobieren. Dabei ist nicht der Markenname ausschlaggebend, sondern wie sich das Produkt auf der Haut anfühlt. Und weil so ein Produkt nur langfristig wirken kann, muss man es regelmäßig benutzen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.
Checken Sie auch die anderen enthaltenen Inhaltsstoffe. Antioxidantien sind nicht die einzigen, die der Haut Gutes tun. Es gibt viele weitere Zutaten, die für einen schönen Teint notwendig sind, wenn Sie ein bestimmtes Ziel erreichen wollen. Zum Beispiel Hyaluronsäure, wenn die Haut trocken ist. Glykol-, Milch-, und Mandelsäure lassen sie strahlen und bekämpfen feine Linien. Schauen Sie deshalb immer auf die gesamte Liste an Inhaltsstoffen und nicht nur auf die Radikalfänger. Finden Sie sich in dem Produkt-Dschungel überhaupt nicht zurecht, können Sie immer noch Ihren Dermatologen oder Ihre Kosmetikerin fragen. Aber aufgepasst: Einige empfehlen nur die Produkte, die sie selbst in ihrem Institut verkaufen. Und das sind nicht unbedingt immer die Besten, die Ihre Pflegewünsche erfüllen.
Mehr von der Autorin lesen Sie hier auf MODEPILOT.de jeden Freitag (>>>) und auf ihrem eigenen Blog Culture & Cream (>>>)
Photo Credit: Catwalkpictures
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare