Neues vom Beauty Pro: Porentief nachgefragt

Die Power von roten Lippen

Jede Frau besitzt ein oder zwei Dinge in ihrem Kleiderschrank oder Make-up-Fundus, auf die sie in (fast) jeder Lebenslage zählen kann. Wenn das Selbstvertrauen sich gerade mal eine Auszeit genommen hat oder sie in einer besonderen Situation Stärke zeigen will oder muss. Das kann ein bestimmtes Kleid sein, das so perfekt sitzt, dass sich jeder (Mann) danach umdreht, oder ein Parfum, bei dem Komplimente nie ausbleiben, oder wie bei mir – der rote Lippenstift. Und das geht vielen Frauen so, weil er so plakativ und effektiv ist, vergleichsweise nicht teuer und einfach zu erwerben. Weltweit geliebt wird er für seine einzigartige Kombination aus Power, Mut und selbstbewußter Sexiness.

Stärke und Weiblichkeit

Ich erinnere mich noch, wie wir Journalisten belächelt wurden, wenn der gesamte Schreiber-Tross nach Paris oder an die Côte d’Azur geflogen wurde, nur weil Chanel oder Dior dort einen neuen Lippenstift präsentierte. Was für ein Aufwand für einen kleinen roten Drehstift, der in der Handtasche verschwindet! Inzwischen kann ich eine ganze Kolumne darüber schreiben, denn ich finde, der Kleine ist etwas ganz Großes. Was sonst, das gerade mal in voller Länge acht Zentimeter misst, hat diese phänomenale Wirkung? Er verkörpert Stärke und Weiblichkeit in gleichem Maß. Ohne rote Lippen fühle ich mich nackt und gerade mal fähig, den Müll rauszutragen. Andere Farben, na ja, geht gerade so. Aber sobald die rote, cremige Textur meinen Mund mit Farbe überzogen hat, beginnt mein Teint zu strahlen. Auch wenn es mal schnell gehen muss mit dem Make-up, ist der Stift meine Rettung. Auf Mascara und Foundation kann ich notfalls verzichten, denn mit roten Lippen wirkt das Gesicht gleich „angezogen“.

Die Magie von Rot

Rote Lippenfarbe hatte schon immer ihre ganz eigene Magie. Wenn auch nicht nur im positiven Sinn. Jahrhunderte lang galt sie als der Stempel für Unmoral. Im antiken Griechenland war es gesetzlich vorgeschrieben, dass Liebesdienerinnen sich mit einem roten Mund „kennzeichnen“ mussten, damit sie sich nicht als Angehörige der Upper Class ausgeben und damit Männer hätten irreführen können. Im bigotten Mittelalter galt es gar als Ticket zur Hölle, wenn eine Frau ihren Mund mit Farbe betonte. Und tatsächlich verabschiedete einige Jahrhunderte später das britische Parlament ein Gesetz, das Lippenstift als Zeichen von Hexerei verdammte. Königinnen jedoch liebten das Lippenrot von jeher, seit die Sumerer 3000 v. Chr. eine Lippencreme erfunden hatten.
 
Ägyptische Frauen färbten nicht nur ihre Lippen, sondern forderten auch ein Töpfchen der Farbe als Grabbeigabe. Cleopatra ließ Tausende von Schildläusen trocknen, um an das begehrte Rot zu kommen. Die Gewinnung des in der Antike sehr gebräuchlichen Färbemittels – Cochenille wird übrigens bis heute in einigen Kosmetikprodukten als Lebensmittelfarbstoff E 120 verwendet – war äußerst mühselig. Per Hand wurden die Läuse von den Kermeseichen „gepflückt“. Um nur 50 Gramm Farbstoff zu erhalten, benötigt man ein Kilogramm, bzw. über 150.000 Schildläuse. Queen Elizabeth I. war geradezu süchtig nach roten Lippen, hielt sie für eine Art Schutz vor bösen Geistern und sogar vor dem Tod. Sie soll dafür ihr eigenes Rezept entwickelt haben: Cochenille, Eiweiß, Feigenmilch und den harzigen Pflanzensaft Gummi Arabicum als Bindemittel. Sie trug das Rot möglichst dick auf. Es hieß, dass sie an ihrem Todestag fast einen halben Zentimeter auf ihren Lippen gehabt haben soll. Auch Namensvetterin Elizabeth II. ist ein großer Fan von Lippenstift. Dabei bevorzugt sie die Marke Clarins. Für ihre Krönung im Juni 1953 ließ sie sich eigens ein Rot namens „The Balmoral Lipstick” anfertigen im Ton ihrer Kleidung.

Statement ohne Worte

Rote Lippen sind klassisch, aber auch immer im Trend. Sie können auf „edgy”, aber genauso auf elegant geschminkt werden. In jedem Fall sind sie unprätentiös. Sie funktionieren im Büro als weibliches Power-Gegenstück zu maskulinen Blazern und Anzügen, aber ebenso am Abend zum Date. Es kommt nur auf die richtige Nuance, Textur und Finish an, dann steht der Rote-Lippen-Look nahezu jeder, wirklich jeder Frau. „Wenn eine Frau roten Lippenstift trägt, ist das ein Statement, dass sie mit sich im Reinen ist“, sagt die australische Psychologie-Professorin Marita McCabe. „Fühlst sie sich psychisch und physisch gut und legt roten Lippenstift auf, signalisiert sie damit ‚Ich bin hier‘ - und das unterscheidet sie sofort von anderen Frauen.“
Rot ist eine Farbe mit Aussage: Ich möchte, dass du mich ansiehst und ich möchte, dass du dich an mich erinnerst. Elizabeth Taylor trieb es damit so weit, dass in ihren Filmen nur sie alleine rot geschminkte Lippen haben durfte. Ihr beliebtester Ausspruch: „Gieß dir einen Drink ein, leg’ Lippenstift auf und reiß dich zusammen.“ Und in der Tat strahlen rote Lippen Stärke und Selbstvertrauen aus, selbst wenn sich dahinter eine gewisse Unsicherheit verbirgt.

Make it right

Viele Frauen trauen sich gerade deshalb nicht an Rot, weil es eben das Augenmerk auf sich zieht. Um sich daran zu gewöhnen, beginnt man mit einer leicht schimmernden Nuance, und wenn man sich dann damit richtig wohl fühlt, wagt man sich an einen intensiveren Ton. Wichtig ist es, die richtige Nuance zu wählen. Wer dunkle Haare und helle Haut hat, nimmt am besten ein blaustichiges Rot. Blonden steht ein Stich ins Orange, und zu reiferer Haut passt ein Pink-Unterton.
Im Gegensatz zu Nude-Lippenstiften verzeihen gerade deckende Rottöne keine Fehler beim Auftragen. Lipliner sind das wichtigste Tool für eine saubere Kontur, weil Rot gerne in die Fältchen ausläuft, und dann eventuell noch ein Pinsel für den Farbauftrag. Viele Visagisten füllen übrigens zuerst die Lippen aus und ziehen dann die Kontur mit einem Liner nach (rote Lippen Tutorial >>>). Fehlt die richtige Farbe: einfach einen transparenten Konturenstift verwenden. Kleine Patzer kann man mit Concealer korrigieren. Und etwas Zeit sollte man sich nehmen, denn Übung macht den Meister. Und eines kann ich Ihnen versichern. Wer einmal das perfekte Rot für sich entdeckt hat, möchte die Komplimente dafür nicht mehr missen. You will never look back!
Photo Credit: Margit Rüdiger
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Kathrin Bierling sagt:

    Ich finde es ja immer bewundernswert, wenn eine Frau ständig roten Lippenstift verwenden kann – sogar ganz ohne Make-up. Bei mir funktioniert das nur selten. Ich sehe sonst meist wie ein kleines Mädchen aus, das mit Schminke nicht umgehen kann. Liegt vielleicht auch am Hauttypen plus helle Augen, etc. ?

    Liebe Grüße,

    Kathrin


    • Margit Rüdiger sagt:

      Liegt vor allem an der richtigen Farbe zum Hauttyp. Vor allem, dass das Rot für tagsüber nicht zu dunkel ist.