Neues vom Beauty Pro: Polyphenole

Polyphenole können mehr als Vitamine

Wenn es um Gesundheit und gesunde Ernährung geht, nennt jeder sofort Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Doch in Wirklichkeit gibt es eine Gruppe von Stoffen in unseren Nahrungsmitteln, die viel mehr erreichen kann als Vitamine & Co. Damit meine ich sekundäre Pflanzenstoffe, die − wie der Name vermuten lässt − ausschließlich in Pflanzen vorkommen.
Polyphenole im Expertengespräch Modepilot
Polyphenole stecken im Olivenwasser
Polyphenole bilden die bedeutendste Gruppe dieser sekundären Pflanzenstoffe. Sie befinden sich in den Randschichten von Obst, Gemüse und Getreide und sorgen dort für die Farbe und den Geschmack des Nahrungsmittels. Die Pflanze bildet diese bioaktive Substanzen überwiegend zur Abwehr von Schädlingen und Insekten oder zum Schutz vor UV-Strahlung. Reich an Polyphenolen sind Vollwertgetreide, Gemüse und viele Früchte, wie z. B. Oliven oder Beeren.

Vom Abfallprodukt zum Powerstoff

Fattoria La Vialla Polyphenole Modepilot
Olivenmühle in der Fattoria La Vialla
Oliven sind für mich das Stichwort, nachdem ich dieses Jahr wieder bei der Olivenernte auf der Fattoria La Vialla in der Toskana geholfen habe. Dort liegt eine der wenigen biodynamischen Landwirtschaften Italiens. Weggeworfen wird auf der Fattoria so gut wie nichts. Alles wird verwertet oder dem natürlichen Kreislauf wieder zugeführt. Besonders spannend finde ich das Vegetationswasser der Oliven, das lange Zeit als Abfallprodukt bei der Pressung der Früchte betrachtet wurde.
Gianni aus der Gründer-Familie Lo Franco sagt: „Unsere wichtigste Entdeckung war, dass das sonst unbeachtete Vegetationswasser der Oliven kein Abfall der Ölherstellung, sondern ein wertvolles, sehr gesundes Nebenprodukt ist. Das wusste unsere Urgroßmutter Caterina schon immer. Sie erzählte gerne, wie gut ihr das Olivenwasser tat, das dunkle und bittere ‚acqua mora‘, wie es in Italien genannt wird“.

Mehr Polyphenole im Presswasser

Vor einigen Jahren begannen sie also das Vegetationswasser aufzufangen, das in den Oliven und ihrem Kern enthalten ist und nach dem Pressen mechanisch durch eine Zentrifuge vom Öl getrennt wird. Jedes Jahr von Mitte Oktober bis Anfang Dezember steht die Ölmühle in der Fattoria nicht einmal still. Tag und Nacht werden die frisch geernteten Oliven innerhalb von 6 bis 12 Stunden gepresst. Um aus dem wässrigen Bestandteil der Oliven das Polyphenol-Konzentrat zu gewinnen, werden spezielle Keramikmembranen zur mechanischen Filtration eingesetzt. So kann das bittere Elixir ohne Einsatz von Wärme, Lösungsmitteln oder chemischen Reagenzien gewonnen werden. Da Polyphenole eher wasser- als fettlöslich sind, ist die durchschnittliche Polyphenol-Konzentration in dem wässrigen Abfallprodukt deutlich höher als in einer vergleichbaren Menge Olivenöl

Extravergine

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Erzeugnis aus der Olivenmühle
Italienische Wissenschaftler erforschten das ‚aqua mora‘ im Detail auf seine gesundheitsfördernden Eigenschaften und stellten fest, dass das bittere Wasser 20 mal mehr Polyphenole liefert – allen voran das Hydroxytyrosol ­– als Olivenöl. Außerdem sind darin Bitterstoffe enthalten, die nicht nur die Pflanzen auf natürliche Weise vor Schädlingen schützen, sondern auch den menschlichen Körper im Kampf gegen Infektionen unterstützen und verdauungsfördernd wirken. Außerdem besitzt es eine beachtliche oxidierungshemmende Wirkung, wie Zellschutz und Abwehr freier Radikale. Zahlreiche Studien belegen, dass Polyphenole auch Herz-Kreislauferkrankungen und einigen Krebserkrankungen vorbeugen können.

Die Studienlage zum „acqua mora“

Gianni Lo Franco: „Deshalb entschieden wir uns vor ein paar Jahren dazu, die Eigenschaften der Substanzen in unserem ‚acqua mora‘ noch genauer untersuchen zu lassen. Die Studie stand unter der Leitung von Dr. Adriana Albini. Die Mailänder Wissenschaftlerin ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Krebsforschung. Sie sollte beurteilen, ob das Zusammenspiel der im geklärten Vegetationswasser enthaltenen Polyphenole antiangiogenetische (gegen das Wachstum von Tumoren gerichtete) Eigenschaften besitzt und ob die Polyphenole als Gesamtkomplex eine größere Wirkung zeigen als das wichtigste Einzelmolekül Hydroxytyrosol.“
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Oliphenolia von der Fattoria La Vialla
Das Ergebnis der vierjährigen Studie war eindeutig. Oliphenolia – so heißt das Elixier aus der Fattoria La Vialla – ist ein wirksamer Komplex natürlicher Moleküle, die in ihrem Zusammenspiel weitaus potenter sind als das isolierte Hydroxytyrosol, das als das bedeutendste Antioxidans des Olivenbaums gilt. Die Datenlage hat mich überzeugt. Deshalb mache ich 3 bis 4 Mal pro Jahr eine Kur mit Oliphenolia. Dazu trinke ich 16 Tage lang morgens und abends ein 25ml-Gläschen und fühle mich gut damit. An den bitteren Geschmack habe ich mich längst gewöhnt.

Interview: Das sagt die Expertin

Ich wollte noch genauer wissen, was hinter der Kraft der Polyphenole steckt, und habe Sabine Häberlein, eine diplomierte Ernährungswissenschaftlerin (Dipl. oec. troph.) und Kräuterexpertin (essen-einfach-anders.de) in München, gefragt:
Noch mal zum besseren Verständnis: Was genau sind Polyphenole?
S.H.: Unter dem Begriff Polyphenole fassen die Wissenschaftler eine Vielzahl von Substanzen zusammen. Gemeinsam ist ihnen eine chemische Struktur: der Phenolring. Zu diesen sekundären Pflanzenstoffe zählen zum Beispiel das Flavanoid Quercetin, welches besonders viel enthalten ist in gelben Zwiebeln und Grünkohl. Außerdem zählen dazu die Flavanoide Anthocyane (rote Obst- und Gemüsesorten), die Phenolsäuren (Grünkohl, Weizenvollkorn), die Hydroxyzimtsäure (Kaffee, Kartoffel, Zitronenmelisse), das Curcumin (Gelbwurz), das Capsaicin (Chili), die Cumarine (Waldmeister, Cassia-Zimt) und die Phytoöstrogene (Sojabohnen, Getreide, Rotklee).
Sind sekundäre Pflanzenstoffe und Polyphenole identisch?
S.H.: Wie der Name schon sagt, finden sich diese Stoffe nur in Pflanzen. Polyphenole gehören zu den sekundären Pflanzenstoffen, weil sie in geringen Mengen vorkommen und pharmakologisch wirken. Primäre Pflanzenstoffe dagegen sind Nährstoffe. Diese liefern Energie. Kohlenhydrate, Fette und Proteine zählen zu dieser Gruppe.

Welche Nahrungsmitteln sind besonders reich an Polyphenolen?

S.H.: Besonders viel Polyphenole liefern rote Obst- und Gemüsesorten wie zum Beispiel Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Kirschen, rote Trauben, Aroniabeeren, Rotkohl, die rote Zwiebel, Aubergine, Radicchio-Salat. Interessant zu wissen ist auch, dass bei den Weintrauben vor allem die Schalen und die Kerne reich an den Polyphenolen sind. Gute Lieferanten von sekundären Pflanzenstoffen sind zudem Oliven- und Olivenöl, Walnüsse und Pekannüsse, Grüner und Schwarzer Tee, Kaffee, Kokosöl, Kakao und dunkle Schokolade. Nicht zu vergessen: die Wildkräuter wie Löwenzahnblätter, Brennnesseln, Gänseblümchen, Bärlauch, Zistrose, Eisenkraut oder der große Wiesenknopf.
Wie hoch ist der Tagesbedarf an Polyphenolen?
S.H.: Es gibt bis jetzt noch keine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. In der Literatur ist immer wieder mal die Rede von 200 Milligramm pro Tag. Aber diese Zahl ist nicht gesichert. Schließlich ist die Erforschung der sekundären Pflanzenstoffe noch recht jung und ziemlich umfangreich.

Worauf sollte man bei der Ernährung achten?

S.H.: Polyphenole sind hauptsächlich unter der Schale, bzw. in den äußeren Blättern von Obst und Gemüse angesiedelt. Deshalb am besten, wenn immer möglich, ungeschält essen. Zudem sind einige temperaturempfindlich. Deshalb ist es zum Beispiel wichtig, dass das Olivenöl wirklich kalt gepresst ist oder gleich das Presswasser genutzt wird. Eine schonende Erwärmung ist angesagt. Andere Polyphenole, wie z.B. die Flavanoide, sind hitzestabil. Allerdings gehen sie beim Kochen von Gemüse in das Kochwasser über. Deshalb sollte dieses auf jeden Fall mit verwendet werden. Aufpassen sollte man auch auf die Zusammenstellung des Essens. Polyphenole können nämlich die Eisen- und Zinkaufnahme hemmen. Deshalb ist es sinnvoll, zwischen eisen- und zinkhaltigen Mahlzeiten und dem Genuss von Kaffee und Tee ein bis zwei Stunden zu warten. Das gilt jedoch nur, wenn Eisen- und Zinkspiegel im Blut niedrig sind.
Welche Produkte sollte man unbedingt in Bio-Qualität kaufen, bei welchen ist es weniger wichtig?
S.H.: Bio-Qualität im pflanzlichen Bereich ist vor allem wichtig, wenn die Schale mitgegessen wird. Und nachdem die Polyphenole direkt unter der Schale liegen, ist hier auf jeden Fall die Ökoware zu bevorzugen.

Wann brauchen wir besonders viele Polyphenole?

Olivenernte Modepilot
Bei der Olivenernte
S.H.: Polyphenole brauchen wir eigentlich immer. Aber besonders in der Zeit, in der unser Immunsystem gefordert ist.
Kann man damit bestimmten Krankheiten vorbeugen?
S.H.: Polyphenolen werden verschiedene positive Wirkungen zugeschrieben. Allen voran ist die antioxidative Eigenschaft zu nennen. Die Polyphenole wirken als Radikalfänger. Sie schützen unsere Zellen vor oxidativem Stress und somit auch vor vorzeitiger Hautalterung. Dieser Stress entsteht unter anderem durch Umweltgifte oder Rauchen. Sie vermindern zudem das Risiko, an Krebs zu erkranken und wirken entzündungshemmend. Polyphenole haben des weiteren einen positiven Einfluss auf die Blutgerinnung und das Immunsystem. Sie hemmen das Wachstum von Viren, Bakterien und Pilzen und mindern dadurch das Infektionsrisiko. Außerdem senken sie den Blutzuckerspiegel, den Blutdruck und das schädliche LDL-Cholesterin. Somit verringern sie das Risiko, an Arteriosklerose zu erkranken. Phytoöstrogene können eventuell Beschwerden in den Wechseljahren lindern.
Kann man mit Nahrungsergänzungsmitteln nachhelfen?
S.H.: Nachdem noch nicht erforscht ist, welche Substanzgruppe unter den Polyphenolen welche Wirkung erzielt, ist es sinnvoll, sekundäre Pflanzenstoffe nicht als Nahrungsergänzung aufzunehmen. Das Wechselspiel der Inhaltsstoffe in jedem einzelnen Lebensmittel ist von Bedeutung. Deshalb ist es immer besser, das Lebensmittel zu essen als die einzelnen Inhaltsstoffe. Isolierte einzelne Stoffe können oft mehr schaden als nutzen. Die Forschung geht ständig weiter. Ich bin mir sicher, dass noch nicht alle Bestandteile von allen Lebensmitteln bekannt sind.
Photo Credit: Margit Rüdiger für Modepilot, Fattoria La Vialla
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

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