Neues vom Beauty Pro: Porentief nachgefragt

Wer Fotos retuschiert, muss kennzeichnen

Kennzeichnung retuschierter Fotos − Seit diesem Sommer hat Norwegen ein neues Gesetz gegen den „kroppspress“, was übersetzt die Wörter „Körper“ und „Druck“ beinhaltet. Es gilt für jegliche Art von Werbung. Egal, ob große Konzerne mit geschönten Bildern Werbung betreiben oder Influencer:innen ihr Aussehen mit Filtern pimpen: Werden solche Fake-Fotos verwendet, auf denen Körperform, Größe oder Haut durch Retusche oder sonstige Manipulation verändert wurden, muss das mit einem runden Logo gekennzeichnet werden, auf dem „Retusjert Person - Reklame“ steht. Erlaubt sind nur noch ganzheitliche Bild-Bearbeitungen wie Aufhellung, Verdunklung oder Schärfung. Der Verbraucherschutz soll die neue Regelung kontrollieren und wer sie mißachtet, muss Strafe zahlen. Soweit zumindest die Theorie…

Kennzeichnung retuschierter Fotos

Logo Norwegen retuschierte Bilder
Kennzeichnung retuschierter Fotos: Wir haben das neue Logo aus Norwegen mal gut sichtbar auf diesem Werbemotiv platziert.
Retuschierte Fotos begegnen uns heute mehr denn je. Zu den Plakaten und Anzeigen sind Newsletter und vor allem all die Fotos in den Social Media-Kanälen hinzugekommen. Die darauf abgebildeten Personen sind oft bis zur Makellosigkeit retuschiert. Bei Zeitschriften war das schon immer so. Das beginnt bereits beim Cover eines Magazins. Keines zeigt das wahre Gesicht oder den nicht ganz so perfekten Körper eines Models oder eines Stars. Letztere geben ihre Fotos ohnehin erst für die Presse frei, nachdem sie gründlich bearbeitet wurden.
Blättert man ein paar Seiten weiter sieht im Editorial der Zeitschrift die Chefredakteurin zumeist besser und jünger aus als im wahren Leben. Diese Optimierung zieht sich fast durch das gesamte Heft. Auf Werbe-Anzeigen ist es nicht anders. Keine Anti-Aging-Creme bildet eine Frau aus der Zielgruppe des Produktes ab wie sie wirklich aussieht − mit leicht erschlaffter Haut und diversen Fältchen. Im Gegenteil. Es lächeln stets glatte, makellos Gesichter jüngere Models glücklich in die Kamera.

Heute kann jeder seine Fotos bearbeiten

Mittlerweile muss man kein Retusche-Profi sein, um Bilder zu bearbeiten. Beispielsweise mit Instagram-Filtern kann jede:r seine Fotos mit geringem Aufwand verändern. Die entsprechende App und ein paar Klicks genügen, und schon wird das Gesicht schmäler, die Augen größer, der Mund voller und der Taillenumfang erreicht Wespenformat. Aus einem Donut-Bäuchlein wird ein ansehnlicher Sixpack. Wer sich etwas Mühe gibt, mogelt so meisterhaft, dass keiner den Trick bemerkt. Da müsste man schon genau das Foto gegenüberstellen, das die Person so zeigt, wie sie fotografiert wurde.
Aber warum sind diese Retuschen so gefährlich? Eigentlich könnte einem selbstbewußten Menschen doch egal sein, was ihm an Perfektion vorgegaukelt wird. Und, was er selbst in seinem Schlafzimmerspiegel nie zu Gesicht bekommen wird. Und welcher normale Mann würde seine Männlichkeit anzweifeln, bloß weil er sich den David von Michelangelo anschaut?

Weniger „kroppspress“

Grundsätzlich ist das schon richtig. Aber erstens ist der schöne Jüngling in der Galleria dell’Academia von Florenz aus einem (einzigen) Marmorblock gehauen und nicht aus Fleisch und Blut. Also außer Konkurrenz. Außerdem sind in der Regel Kinder und Jugendliche der am meisten gefährdete Personenkreis, wenn ihnen alltäglich Perfektion auf allen Medien begegnet. Dann, wenn sie sich mit diesen medial vermarkteten Gesichtern und Körpern vergleichen und im Spiegel Aknenarben statt Strahleteint und Orangenhaut statt straff geformter Schenkel sehen. Aber auch unter vielen Erwachsenen sorgen solch manipulierte Fotos nicht gerade dafür, dass sie sich in ihren Körpern wohl fühlen.
Ziel des neuen Gesetzes ist es, den Druck auf das Aussehen in der Gesellschaft zu reduzieren. Dass schon Kinder mit Werbung zur Körper-Optimierung konfrontiert werden, bewies die Studie „Kinder und Medien 2020“, die die norwegische Medienbehörde durchführen ließ. Demzufolge wurden etwa die Hälfte der 13- bis 18-Jährigen online bereits Kaufangebote für Produkte angezeigt, die zur Gewichtsreduktion beitragen sollen. 43 Prozent der Befragten gaben in Bezug auf ihr Aussehen an, dass sie unter Stress stehen. Die Direktorin der Behörde begrüsst daher den Beschluss: „Wir glauben, dass die Gesetzesänderung dazu beitragen kann, den Druck auf Körperoptimierung zu verringern.“

Kennzeichnung retuschierter Fotos auch bei uns?

Auch in Deutschland wird schon lange darüber diskutiert, welche Wirkung manipulierte Bilder in der klassischen Werbung oder die Beauty-Standards von Influencer*innen auf das Selbstbild gerade bei Kindern und Jugendlichen haben. Bisher gibt es kein Gesetz dagegen. Lediglich Werbung muss als solche gekennzeichnet werden. Ich finde aber, dass in Deutschland ebenfalls eine Kennzeichnungspflicht bearbeiteter Fotos eingeführt werden sollte, denn die Macht der Instagram-Beauties ist mehrfach bewiesen.
Schönheitschirurgen bestätigen mir, dass immer mehr junge Frauen mit ihren bearbeiteten Fotos in die Praxis kommen und sich dahingehend verändern lassen möchten. Zumindest bei den nicht- und minimal-invasiven Methoden hat das „Instagram Face“ einen wahren Boom ausgelöst. Eine Studie der amerikanischen Gesellschaft für „Facial Plastic and Reconstructive Surgery“ von 2017 belegt, dass 55 Prozent der Operationen stattfinden, weil sich die Patiennt*innen schönere Selfies wünschen. Was sonst nur mit Filtern zu erreichen ist, soll Realität werden. In Deutschland sind etwa vier von fünf Menschen mit ihrem Aussehen unzufrieden und würden nie ein unbearbeitetes Bild von sich posten. 48 Prozent der 11- bis 21-Jährigen hübschen regelmäßig ihre Fotos mit Apps oder Filtern auf.
Ob ein Gesetz allein die erhoffte Wirkung zeigt, ist auch in Norwegen fraglich. Die Kontrolle ist schwierig, denn oft sind manipulierte Bilder nicht als solche zu erkennen. Auch in Frankreich hat das „Décret Photoshop“ nicht viel verändert. Das gibt es bereits seit Herbst 2017 und schreibt die Kennzeichnung retuschierter Bilder in der Werbung vor. Häufig drucken Firmen den Hinweis absichtlich unleserlich oder so klein, dass er kaum auffällt und die Illusion der Perfektion bestehen bleibt. Beim Drüberscrollen bleibt das Bild im Gedächtnis und nicht der magere Satz darunter.

Selbst aktiv werden

Besser wären Aufklärung und Information im kritischen Umgang mit Medieninhalten, um zu reflektieren, ob das Gezeigte tatsächlich echt ist. Schon Kinder sollten wissen, dass nicht alles Realität ist, was sie im Internet vorfinden. Und dann sollte man sich fragen, ob man sich tatsächlich besser fühlen würde, wenn man aussehen würde wie Kim Kardashian oder Bella Hadid. Was würde es ändern? Wichtig ist auch eine Stärkung des Selbstwertgefühls bei Jugendlichen durch Familie und Freunde und einzuschreiten bei Alarmsignalen wie ungesundem Ess- und Diätverhalten.
Allerdings muss auch gesagt werden, dass es bereits Influencer:innen gibt, die sich ohne Druck einer höheren Instanz von Fake-Fotos distanzieren. Unter #instavsreality, #filterdrop oder #instagramversusreality posten sie unbearbeitete Bilder von sich mit ganz normalen Körpern. Da gibt es nun mal ein paar Cellulite-Dellen, Dehnungsstreifen und mehr oder weniger schlanke Bäuche. Um ihren Followern zu zeigen, dass der perfekte Body eine Illusion ist, sind zwei Vergleichsbilder sehr beliebt. Einmal wird ein Foto hochgeladen, das bearbeitet ist, und als Vergleich der Körper, wie er tatsächlich aussieht. Das macht deutlich, wie trügerisch der schöne Schein doch sein kann.
Mehr von unserer Autorin Margit Rüdiger finden Sie hier unter ihren bisherigen Kolumnen >>> und mehr über Beauty und Reisen auch auf ihrem Blog Culture & Cream (>>>). Fragen, Wünsche, Feedback? Sie erreichen unsere Kolumnistin unter beautypro[@]modepilot.de
Photo Credit: Collage aus einem Werbemotiv von Hourglass und dem neuen Logo der Verbraucheraufsichtsbehörde Norwegen
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