Neues vom Beauty Pro: Porentief nachgefragt

Der schöne Schein trügt!

Verwenden Sie Make-up-Produkte wie Lidschatten und Lippenstifte mit einem so wunderbaren Perlglanzschimmer? Für diesen Effekt verantwortlich ist in der Regel Mica. Das ist ein natürlich vorkommendes Mineral. Also unproblematisch, könnte man meinen. Für die Haut trifft das auch zu. Problematisch hingegen ist der Abbau, der oft unter menschenunwürdigen Bedingungen mit Kinderarbeit erfolgt. Die Kosmetik-Industrie muss und will dem teilweise ein Ende setzen.
Giorgio Armani Privé Modepilot Backstage Mica
Schimmer oberhalb der Wangenknochen, backstage bei Giorgio Armani Privé, Couture, Herbst/Winter 2022
Der Begriff Mica kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „glitzern“ oder „glänzen“. Und das tut das Silikat-Mineral in diversen Produkten von Rouge bis Schmink-Stiften, von Nagellack bis Karnevals-Farben. Sogar in Kinderprodukten wie Duschgel, Badeseife und Zahnpasta kann Mica enthalten sein. Und weil sich Puder damit leichter herstellen lässt, wird es häufig als Filler in mineralischem Make-up eingesetzt. Mica gehört zur sogenannten Glimmergruppe, wird etwas abwertend auch „Katzensilber“ oder „Katzengold“ genannt. In den gelisteten Inhaltsstoffen auf einem Produkt findet man es in der Regel unter der Bezeichnung „CI 77019“ oder als „Potassium Aluminium Silicate“.
Der für Mica typische Glanz hängt von der Partikelgröße ab. Je kleiner die Teilchengröße, desto matter sind die Pigmente und desto höher ist die Deckkraft. „Die Grösse des Pigments entscheidet auch darüber, wie glänzend etwas ist. Ein weicher Lidschatten braucht kleinere Teilchen, um ihn glatt aussehen zu lassen. Kleinere Partikel erzeugen Glanz, während grössere Partikel einen starken Glitzer-Effekt erzeugen“, erklärt Make-up Entwicklerin Rowena Bird.

Mica in allen Regenbogenfarben

Für verschiedene Farben und unterschiedlichen Glanz-, bzw. Glitzer-Effekte überzieht man die Mica-Partikel mit einem Oxid, meistens Titanoxid. Die Anzahl der Schichten bestimmt den Farbton. Bird erklärt es so: „Wenn Licht auf ein Prisma trifft, entsteht ein Regenbogen. Genauso funktioniert das mit Titanoxid: Stösst Licht darauf, prallt es ab und ein Regenbogen erscheint. Bis zu sieben verschiedene Farben können kreiert werden. Wie dunkel die jeweilige Farbe wird, hängt ebenfalls von der Anzahl an Schichten ab.“
Giorgio Armani Privé Modepilot Backstage Mica
Glitzerschimmer für die Augen bei der Haute Couture von Giorgio Armani Privé, Herbst/Winter 2022
Charakteristisch für das Mineral, das zu den Schichtsilikaten gehört, ist − wie der Name schon vermuten lässt − seine schichtartige Struktur. Sie ermöglicht eine sehr gute Spaltbarkeit der Glimmer-Minerale. Das wiederum gestattet eine vielfältige Verwendung, nicht nur in der Kosmetikindustrie. Den Endverbraucher*innen weniger bekannt ist, dass Mica auch für Autolacke und Lacke allgemein genutzt wird, ebenso für Computer, Handys und diverse Haushaltsgeräte. Dabei ist Mica nicht nur ein Lieferant für schicke Schimmer-Effekte. Weil es Hitze und Strom isoliert, dient es ebenso als Füllstoff. Aufgrund seines hohen Schmelzpunktes findet es dort Einsatz, wo hohe Temperaturen erreicht werden, beispielsweise für Kaminfenster, Bremsbeläge und Reifen.

Weltweiter Abbau

Mica ist ein natürlich vorkommendes Mineral und kommt in verschiedenen Arten auf der ganzen Welt vor. Mehr als 35 Länder bauen es ab. Die Industriestaaten beziehen Mica vorwiegend aus Indien und Madagaskar, den beiden größten Exportländern, wo es unter oft menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut wird. Von Kindern und deren Eltern, die ständig der Hitze und dem Staub ausgesetzt sind. Und das teilweise in selbst gegrabenen und völlig ungesicherten Löchern, die nicht selten bis zu 20 Meter tief sind. Laut einer Studie der Hilfsorganisation Terre des Hommes (https://www.tdh.de/spenden-und-stiften/mica/) schuften bis zu 22.000 Kinder dort täglich bis zu 12 Stunden für einen Hungerlohn. Die jüngsten Mica-Schürfer*innen sind gerade mal vier Jahre alt. Viele der Kinder leiden bereits unter Atemwegserkrankungen und Staublunge.
Während der Corona-Pandemie hat sich die Problematik der Kinderarbeit vor allem in den Minen der indischen Bundesstaaten Bihar und Jharkhand laut Terre des Hommes noch verschlimmert. Geschlossene Schulen bedeuteten, dass auch die Schulspeisungen ausfielen. Das ist für die Ärmsten der Armen ein riesiges Problem. Immer mehr Tagelöhner mussten sich und ihre Familienmitglieder mit Mica-Abbau durchbringen. Und das mit einem Verdienst, der weit unter die Armutsgrenze von 1,90 Dollar fiel. Denn die Situation wurde schamlos ausgenutzt.

Initiativen gegen Kinderarbeit

Inzwischen ersetzen einige Kosmetikfirmen Mica durch pflanzliche Alternativen, wie Glitter aus Zellulose oder durch synthetische Stoffe. Manche Hersteller setzen auch Bio-Kunststoffe ein, die allerdings nicht unumstritten sind. Biobasierter Kunststoff ist nicht automatisch biologisch abbaubar. Lush Kosmetik, vegetarisch und tierversuchsfrei, hat ein synthetisches Mica (Synthetic Fluorophlogopite) entwickelt. Es wird im Labor hergestellt und imitiert den Effekt von natürlichem Mica, ohne dass Mikroplastik enthalten ist, das am Ende in Flüssen, Seen und Ozeanen landet und diese verseucht.
Giorgio Armani Privé Modepilot Backstage Mica
Perlumuttschimmer unterhalb der Augen bei Giorgio Armani Privé, backstage bei den Couture-Schauen für Herbst/Winter 2022
Einen großen Schritt in die richtige Richtung geht eine Initiative, die im Januar 2017 ihren Anfang nahm. Damals haben sich die Repräsentanten von 20 Firmen und Organisation weltweit zusammengesetzt und die „Responsible Mica Initiative“ (RMI) gegründet. Deren Ziel ist es, die Kinderarbeit in den Mica-Lieferketten zu unterbinden. Alle RMI-Mitglieder müssen sich verpflichten, nur noch Rohsubstanzen aus legalen Minen zu kaufen. Der Verbund setzt sich außerdem für Transparenz und die Umsetzung von Standards am Arbeitsplatz der Minenarbeiter ein. Inzwischen zählt die Initiative 80 Mitglieder aus allen Industriebereichen. Darunter Chanel, Clarins, Coty, Shiseido, L’Oréal, Sephora, H&M, Porsche und die BMW-Group. Auch die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes ist Teil davon.

Woher weiß ich, zu welchen Bedingungen das Mica geschürft wurde

Rückseite Lidschatten Modepilot Mica
Ein ganz normaler Lidschatten: Bei den Inhaltsstoffen befindet sich Mica an zweiter Stelle
Für jeden Verbraucher*in, der sicher gehen will, dass sich in seinem Glimmer-Produkt kein Mica befindet, für das Kinder ausgebeutet wurden, ist die RMI-Mitgliedschaft des Herstellers ein guter Richtwert. Unter der Bezeichnung 'Mica' oder 'CI 77019' erkennen wir auch nicht, aus welchem Land das verwendete Mica stammt. Über die Arbeitsbedingungen sagt es ebenfalls nichts aus. Erfragen kann man die Herkunft bei Herstellern und im Handel, beispielsweise über das Kontaktformular auf der Website oder über die Accounts des Unternehmen in den sozialen Medien. Unbedingt hartnäckig bleiben oder keine Produkte mehr mit Mica kaufen, bzw. gleich auf eine Alternative ausweichen, wenn es unbedingt Glimmer und Glitzer sein muss.
Photo Credit: Catwalkpictures
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Lara sagt:

    Ein sehr toller Beitrag! Es sollte zu einer Gewohnheit werden, dass vor dem Kauf eines Produkts erforscht wird, woher dieser stammt. Nur weil manch Leute glitzern wollen, müssen Kinder leiden, das sollte ein Ende finden. Nochmal vielen Dank für die tolle Aufklärung. Hoffe, dass es genug Leute lesen und sie die Augen öffnen. Es gibt genug Produkte, die nicht anhand Kinderarbeit hergestellt werden!
  • Vivien Noir sagt:

    Danke für diesen Artikel! Ich beschäftige mich schon länger damit, unter welchen Bedingungen Kosmetik und die Rohstoffe hergestellt werden, und bin der Meinung, dass es zu viel verlangt ist, jedem einzelnen Konsumenten zuzumuten, vor dem Kauf zu recherchieren: ist das Produkt tierleidfrei, ist es menschenleidfrei, ist es vll noch vegan oder die Wirkung auch durch gute Studien belegt und kein Marketingschmäh... - insbesondere, da es Konsumenten nicht erst seit der Erfindung des Greenwashing denkbar schwer gemacht wird, sollte er den diese Mühe überhaupt auf sich nehmen! Mmn wäre die beste Lösung, in Kinderarbeit hergestellte Rohstoffe EU-weit zu boykottieren - allein das würde ein plötzliches Bewusstsein für die Verbreitung sehr fördern, denke ich. Und dann geht es daran, Lösungen wie Siegel odgl. anzubieten.