
Neues vom Beauty Pro: Porentief nachgefragt
Schönheits-OPs: Zu viele Eingriffe in unsere naturgegebene Schönheit?
Ich sehe eben so aus wie ich aussehe! Das sagt sich so leicht hin, aber nicht jeder mag oder kann sich mit seinem Aussehen abfinden. Geht eine Beauty-OP gut, sieht man „nicht gemacht“ aus. Geht sie allerdings schief, bekommt man sein vermurkstes Gesicht nicht zurück.
Für Letzteres gibt es inzwischen nicht wenige prominente Beispiele, die auch öffentlich zugeben − nicht zuletzt, weil es sich einfach nicht mehr verbergen lässt −, dass etwas schiefgegangen ist. Linda Evangelista, Topmodel der Neunzigerjahre, ist eines davon. Die Schönheit von einst ist kaum wiederzukennen. Eine Beauty-Operation 2016 hat sie nach eigener Aussage so entstellt, dass sie in Depressionen verfiel, sich jahrelang kaum vor die Türe traute und natürlich auch in ihrem Beruf keine Jobs mehr bekam. Auch Jamie Lee Curtis, die sich früher vehement gegen den Optimierungswahn in Sachen Beauty ausgesprochen hatte, konnte irgendwann nicht mehr widerstehen, nachdem ein Regisseur nicht mit ihr drehen wollte, weil ihm ihre Augen „zu dick“ waren. Curtis ließ der Natur nachhelfen und begab sich das erste Mal unters Messer. Auch sie ist kein gutes Beispiel für einen gelungenen Eingriff. Mit ihrem Geständnis will sie, wie sie sagt, vor allem junge Menschen warnen, die sich von vermeintlichen Social Media-Idealen leiten lassen. „Hat man sein Gesicht einmal vermurkst, bekommt man es nicht zurück“, so Curtis.
Platz 8 bei Schönheits-OPs im globalen Vergleich
Und tatsächlich steigen die Zahlen an Beauty-Eingriffen vor allem bei jungen Frauen. Von den 29-39-Jährigen sind sie laut einer aktuellen Studie von Merz Aesthetics von 3,5 Prozent auf 29,1 Prozent angewachsen bei Fillern und ähnlich stark bei Botulinumtoxin. Die Zahlen einer Auswertung der International Society of Plastic Surgery (ISAP) beziffern es noch genauer: Mit 457 Botox-Injektionen pro 100.000 Einwohner liegt Deutschland bei diesem Eingriff auf Platz 5 weltweit.
Im globalen Vergleich der Schönheits-OPs belegen wir Platz 8 (>>>). Besonders gefragt sind neben Botox- und Hyaluronsäure-Injektionen auch Brust-OPs. Bei den Brust-Vergrößerungen liegt Deutschland mit 80,56 Operationen pro 100.000 Einwohner nur knapp hinter den USA auf Platz 8. Spitzenreiter ist Belgien. Ebenfalls an achter Stelle rangiert Deutschland bei den Po-Vergrößerungen. Im Jahr 2020 wurden hierzulande 4.490 Augmentationen der Rückseite durchgeführt.
Ein gefragter Eingriff dank TikTok & Co. ist auch das Duckface. Gemeint ist mit dem „Entengesicht“ eine Schnute, also volle Lippen, dazu betonte Wangen und eine verschmälerte Gesichtskontur. Imitieren lässt sich dieser Look mit vorgewölbtem Mund und mittels Muskelkraft eingezogenen Wangen − so wie man in den Kindertagen der Selfies vor der Handy-Kamera posiert hat. Inzwischen können diese Veränderungen durch Injektion von Hyaluronsäure mit Haltbarkeiten zwischen sechs und 12 Monaten erlangt werden. Neuester Trend ist die „Lip-Flip“-Methode. Dabei spritzt der Arzt Botulinumtoxin in die Muskeln oberhalb der Lippe. Durch die gezielte Lähmung dieser Partie wölbt sich die Lippe leicht nach außen. Aber Vorsicht, schon eine geringe Dosis zu viel kann einen „verkrampften“ Gesichtsausdruck zur Folge haben. Und nicht alles, was auf Fotos funktioniert, sieht in natura gut aus.
Bizarre Trends
Eine geradezu absurde Idee präsentierte der TikTok-User Jerry Mal (33,3 K Follower) der Welt. Er schmiert sich alles mögliche auf seine ohnehin schon vollen Lippen, um sie noch praller aussehen zu lassen. Unter anderem trug er eine Erektionscreme auf den Mund auf, was eine allergische Reaktion bei ihm hervorrief und seine Lippen anschwellen ließ. Es schmerzte allerdings so sehr, dass er die Creme nach wenigen Minuten wieder abnehmen musste. Trotzdem brachte es ihm vier Millionen Klicks ein. Mediziner können vor solchen Methoden nur warnen.
Tatsächlich wenden sich häufig Frauen an einen Arzt, weil sie aussehen wollen wie ihr eigenes Selfie mit Beauty-Filter. Oder sie wünschen sich die Lippen von Rosie Huntington-Whiteley, die allerdings von Natur aus einen üppigen Mund hat. Als Blaupause dient auch der Po von Jennifer Lopez oder der flache Bauch von Gisele Bündchen. Pamela Anderson ist das gefragteste Vorbild von Frauen, wenn es um Brust-OPs geht.
Dysmorphophobie − ein zwanghaftes Verhalten
Copy-and-paste kann man auch auf die Spitze treiben, wie man es an der Texanerin Claudia Sierra sehen kann. Nach neun Schönheitsoperationen sieht sie aus wie ein Abziehbild von Melania Trump. Sie gibt zwar zu, dass ihr ihr Spiegelbild heute noch manchmal fremd sei, sie sich aber mit dem Aussehen der ehemaligen First Lady wohler fühle. Schon ziemlich schräg ist dieser Auswuchs einer gestörten Körperwahrnehmung, die Ärzte als Dysmorphophobie bezeichnen. Chirurgen berichten bereits von dem Phänomen der, „Snapchat-Dysmorphophobie“, dem zwanghaften Verhalten von stundenlangem Grübeln über vermeintliche Problem-Zonen und einem daraus resultierenden Rückzug aus dem Sozialleben. Doch das ist keine alleinige Erscheinung unserer Zeit. Der italienische Neurologe Enrico Morselli beschrieb bereits 1886 verschiedene Fälle von Dysmorphophobie.
Woher das kommt? Darüber existieren die unterschiedlichsten Theorien. Dabei ist von Kindheitstraumata die Rede oder Erfahrungen, die einen Menschen zu dem Schluß brachte, dass äußere Makellosigkeit essenziell sei. Forscher der University of California wiesen nach, dass solche Personen visuelle Eindrücke im Gehirn anders verarbeiten als gesunde Menschen. Dr. Torsten Kantelhardt, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) sagt dazu: „Betroffenen ist mit Eingriffen in der Regel nicht zu helfen. Sie sind mit den Ergebnissen meist unzufrieden und entwickeln oft eine regelrechte OP-Sucht.“ Die Empfehlung des Verbands an ihre Mitglieder lautet deshalb: wegschicken, auch wenn es in solchen Fällen dann schon mal zu wüsten Beschimpfungen kommt. Anders in den USA. Dort zählen solche Patienten einfach zu den Stammkunden. In der Schönheitsklinik des New Yorker Chirurgen Norman Rowe stehen Melanias Wangenknochen oder Ivankas Kinn ganz oben auf der Wunschliste operationswilliger Amerikanerinnen. Sein Kollege Franklin Rose bietet in Houston, Texas, sogar ein „Melania Makeover“ als Komplettpaket an.
Selbstoptimierung – ja oder nein?
Verantwortungsvolle Beauty-Ärzte sprechen heute eher von Schönheit konservieren statt reparieren. Das Ziel eines gelungenen Eingriffs, vor allem bei Unterspritzungen sollte sein, das zu bewahren, was man hat. Spricht man von Korrektur, impliziert das immer einen Makel, der beseitigt werden soll. Und Korrekturen verändern nun mal, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Interessant finde ich die Ansichten der österreichischen Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner, die zu ‚ekligen' weiblichen Körpern und Body Positivity an der Universität Wien promoviert hat. Sie sagt, dass „Body Positivity“ heute oft missverstanden werde, wenn man an deren Ursprung denkt. Es war die Frauenbewegung und Fat-Acceptance-Bewegung in den 60er- und 70er-Jahren, die diesen Begriff prägten. Damals ging es vor allem gegen die Diskriminierung von beispielsweise dicken Menschen, die in der medizinischen Versorgung vernachlässigt wurden. Heute steht es als # unter jedem Bikinifoto.
Wer bestimmt, was schön ist?
Aufgrund dieses falschen Verständnisses suchen viele Menschen den Fehler bei sich selbst, dem Nicht-Akzeptieren-Wollen eines nicht idealen Aussehens. Nach dem Motto: „Wieso hadere ich immer mit meiner Nase? Wieso kann ich sie nicht einfach akzeptieren wie der vernünftige Erwachsene, der ich doch sonst bin?“ Lechners Antwort darauf: „Wer mit dem eigenen Körper unzufrieden ist, solle die Schuld nicht bei sich suchen – sondern lieber erkennen, welche systemischen Probleme mit Schönheitsidealen verbunden sind.“
Ihrer Meinung nach sei Schönheit in unserer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft vor allem ein Weg, um „immer neue Profite zu machen“. Und es stimmt schon. Ein Körperteil wird zum Makel erklärt und flugs kommt das passende Produkt oder eine Technologie auf den Markt, die diesen beheben soll. Lechner gibt zu, dass das zwar keine neue Erkenntnis ist, aber vielleicht ganz hilfreich, um sich nicht mehr von jedem Werbeversprechen einlullen zu lassen. Sie schlägt vor, man solle sich klarmachen, warum man mit bestimmten Features seines Körpers hadert. Ist es des Kapitalismus und des Patriarchats wegen?
Tatsächlich geht es nicht darum, jegliche „Arbeit“ am eigenen Körper zu verteufeln, sondern vielmehr um einen „emanzipierten Umgang mit der Schönheit“. Liegt ein echter Leidensdruck vor, ist es legitim, dieses Leiden zu beenden, egal ob mit oder ohne Skalpell. Doch wenn es allein um eine ansprechende Optik geht, ist es in der Regel die bessere Entscheidung, sein Aussehen möglichst lange zu konservieren und nicht zu korrigieren.
Mehr von unserer Autorin Margit Rüdiger lesen Sie jeden Freitag hier auf MODEPILOT.de – Ihre bisherigen Kolumnen gibt es hier >>> und mehr auf ihrem Blog Culture & Cream (>>>) Fragen, Wünsche, Feedback? Sie erreichen unsere Kolumnistin unter beautypro[@]modepilot.de

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Photo Credit: Catwalkpictures
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