Neues vom Beauty Pro: Finden Sie mich nett?

Finden Sie mich nett?

Bloß das nicht! Über diese Beschreibung meiner Person wäre ich alles andere als glücklich. Nett ist nichtssagend. Ein Wort, das aus der Mode gekommen ist und doch von und häufig – und meist gedankenlos – gebraucht wird. In seiner Urform ist es aber alles andere als un-nett. Deshalb liege ich eigentlich falsch mit meinem innerlichen Protest, wenn mich jemand nett findet. Und doch…
Nett is jemand, der nichts Böses im Schilde führt und trotzdem gesellschaftlich nicht ganz vorne mitspielen darf. Nett ist jemand, der nicht polarisiert, aber genau so schnell vergessen wird wie man ihn kennengelernt hat. Nichtssagend ist deshalb nicht ganz korrekt, wenn man die Bedeutung des Wortes charakterisieren will. Diese vier Buchstaben können nämlich nichts und genauso gut alles aussagen.
Tibi nett Modepilot
Bei Tibi Backstage für die Sommerkollektion 2020
in New York

Das Anti-Kompliment

Bezeichnet ein Mann eine Frau als nett, schwingt da immer ein Neutrum mit. Nett ist weder erotisch noch interessant oder gar cool, wie man sich so heute selbst gerne sieht und auch präsentieren will. „Du bist ganz nett” klingt nach einem Anti-Kompliment, nett verpackt. Und so kommt es auch an, wie eine Freundin mir erzählte. Sie reagierte stocksauer, als ihre neue Männer-Bekanntschaft ihr nach einem Date beschied, sie sei ein „nettes Mädel”. Sie empfand es als Umschreibung von „langweilig und uninteressant“, und sein Name wurde umgehend aus dem Mobiltelefon gelöscht.
„Beim nächsten Kerl, von dem ich hören muss ‚Du bist ein nettes Mädchen‘, flippe ich aus!”, giftete sie. Ich frage daraufhin einen meiner männlichen Kollegen, der zugibt, dass er den Begriff „nett“ mag und gern verwendet. Martin sagt: „Ich mag das Wort in der Tat sehr gerne, weil es, wenn man es genau nimmt, immer sehr gut trifft, was man damit meint. Etwas ist nett, also freundlich und umgänglich, ohne Ecken und Kanten und barrierefrei und mit der Tendenz fast schon neutral zu sein.” Na, siehste, da haben wir es. Welche Frau mag schon als „barrierefrei” oder „neutral“ gesehen werden.

Von Frau zu Frau

Sagt eine Frau über eine andere, dass sie nett ist, ist sie ihr schlichtweg schnurzegal. Sie löst in ihr weder positive noch negative Emotionen aus. Sie ist weder Konkurrenz noch potentielle Freundin. Nicht störend, aber eher langweilig. Noch drastischer sieht es die Berliner Autorin Rebecca Niazi-Shahabi. Ihr Buch ist betitelt: „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“. In ihrem Charisma-Ratgeber schreibt sie: „'Weniger ist mehr' gilt vielleicht für die Farbwahl der Abendgarderobe – nicht aber für das anschließende Geschäftsessen. Wer sich immer brav im Hintergrund hält und verbindlich lächelt, hinterlässt außer einem lauwarmen Händedruck bestimmt keine weiteren Spuren.” Recht hat sie.
Gebrauchen wir die Bezeichnung „nett” für jemanden oder etwas, wollen wir uns nicht festlegen. Bloß das nicht. Die Botschaft ist nicht eindeutig. Bestenfalls ein Mittelding, das in jede Richtung umschlagen kann. Wir gebrauchen das Wort gedankenlos. Und dann möchten wir uns in dem Moment einfache keine tiefergehenden Gedanken machen über eine Sache, eine Situation oder eine Person. Im Prinzip möchten wir uns damit auf keine Beurteilung einlassen. Kurz gesagt, wollen wir uns mit dem Thema nicht beschäftigen. Egal ob aus Zeitmangel oder purem Desinteresse.

Nett, aber langweilig

„Das Wörtchen 'nett' ist für mich in seiner Bedeutung sehr vielseitig und weit gefächert”, erklärt mir meine Freundin Ivonne. „Ich verwende es in ganz verschiedenen Situationen und zu ganz verschiedenen Menschen, jedoch kann dieses (eben je nach Mensch und Situation) in der tiefsinnigeren Bedeutung komplett unterschiedlich ausfallen.” Sie schreibt mir nach einem Treffen, dass es wieder einmal „sehr nett” war mit mir. Auf Nachfrage meinerseits, meint sie, dass sie es wieder sehr genossen hatte, mit mir zu plauschen und sich schon auf das nächste Treffen freue. Blumen als kleines Dankeschön empfindet sie als eine „nette” Geste im positiven Sinne. Aber sie gibt auch zu: „Wenn ich von einem Event nach Hause komme, den ich nicht ganz so toll fand und mein Mann mich fragt, wie es war, dann antworte ich oft, dass es ‚ganz nett’ war, meine aber, dass ich mich eher gelangweilt habe.”
Alberta Ferretti Sommer 2020 Modepilot
Backstage bei Alberta Ferretti für die Sommer-Modenschau 2020 in Mailand

Zum Lückenfüller degradiert

Wann ist nett sein eigentlich so aus der Mode gekommen? Eine ursprünglich positive Eigenschaft hat sich zum Lückenfüller entwickelt. Im Grunde genommen ist nett sein doch eine gute Charaktereigenschaft. Was ist verwerflich daran, seinen Mitmenschen nett gegenüber zu treten? Nichts. Es sollte ein normales Verhalten sein. Aber der Fehler, wenn man ihn denn so bezeichnen will, liegt auch nicht an dem, der nett ist, sondern was die anderen in ihm sehen. Allzu häufig wird Nettigkeit mit Schwäche verbunden, mit einem Menschen, der sich nicht wehrt. Und der hat es in unserer heutigen Ego-Gesellschaft schwer. Er wird nicht ernst genommen, allenfalls ausgenutzt. Gar nicht nett!
Erschwerend kommt für nette Menschen hinzu, dass sie oft harmoniebedürftiger sind als andere. Im Job wie im Privatleben. Sprich, um Streit zu vermeiden, übernehmen sie lieber eine lästige Aufgabe oder schlucken eine bissige Antwort hinunter, wenn sie auf eine Verbal-Attacke treffen. Das Fehlverhalten liegt also auf beiden Seiten: Der Nette sollte sich nicht hinter seinem Nettsein verstecken, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Und der andere, also wir, sollten Nettigkeit nicht falsch verstehen und ausnutzen. Denn nett ist in keinem Fall scheiße, da kann ich Rebecca Niazi-Shahabi nicht zustimmen. Sch… ist allenfalls die Reaktion darauf.
Und komischerweise bezeichnen viele Menschen sich selbst als nett – auch die, die es nicht sind –, ohne dass etwas Negatives dabei mitschwingt. Oder behaupten Sie vielleicht von sich kein netter Zeitgenosse zu sein? Deshalb sollte die Bezeichnung „nett” wieder mehr Anerkennung erfahren. Einfach weil es eine positive Eigenschaft ist. Vielleicht denken wir beim nächsten Mal noch mal nach, wenn wir das Wörtchen benutzen, ob wir es auch im positiven Sinn so meinen. Wie heißt es so schön im Französischen: Honi soit qui mal y pense – ein Narr, der Böses dabei denkt!
Alberta Ferretti Backstage Sommer 2020 Modepilot
Bei der Fashion Show für Frühjahr/Sommer 2020 von Alberta Ferretti in Mailand
Photo Credit: Catwalkpictures
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Uschi aus Bayern sagt:

    Gut beschrieben - Chapeau!

    Im Duden hat das Wort "nett" u.a. die Bedeutung freundlich, liebenswert, hübsch, ansprechend ... nur - irgendwann scheint dieses Wörtchen wirklich auf der Strecke geblieben zu sein... in Zeiten wie diesen... in denen überwiegend Selbstoptimierung, Fitness, Coolness ect. auf dem Plan stehen.

    Schade!


    • Margit Rüdiger sagt:

      Da gebe ich Dir völlig Recht. Es ist wirklich schade, dass das Wort seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat.

      Dabei ist es schon vom Klang her "nett". Wir sollten nett wieder nett sein lassen!!! Lg Margit