Liebesopfer

An einem Donnerstag Vormittag zwischen Businessterminen in München und Hamburg wurde ich Patenonkel. Es dauerte nur ein paar Stunden und ich befand mich in Frankfurt am Wochenbett meiner Freundin und in meinen Armen dieses kleine Wunder "Mensch". Was für ein Geschenk und was für eine Freude. Man beginnt nachzudenken über Leben, Liebe und... Familie.
Als Mann, der vorwiegend auf das eigene Geschlecht steht, gibt es wohl 1000 Dinge, die einem in solchen Momenten durch den Kopf gehen. Angefangen bei "Möchte ich mal Kinder haben?" über "Käme eine Leihmutterschaft in Frage?" bis hin zu "Ist nun der Zeitpunkt gekommen, da man über Zweckehe nachdenken sollte?". Wieweit würde man gehen, um sich den Wunsch von Familie zu erfüllen? Ein Bekannter von mir trug sogar für ein befreundetes, lesbisches Ehepaar das Erbgut seiner selbst durch halb Berlin, weil es in solchen Fällen einem Arzt in Deutschland verboten ist, eine künstliche Befruchtung durchzuführen. Von Adoption ganz zu schweigen. Wie man sieht, zählt für gleichgeschlechtliche Paare bei einem solch essenziellen Bedürfnis nur noch folgender Gedanke: Alle Wege führen nach Rom... und zu einer Eizelle.
Während nun also um mich herum der Babyboom ausgebrochen zu sein scheint und einige heterosexuelle Freundinnen ein Kind unter ihrer Brust tragen oder sich zumindest in langjährigen Beziehungen mit Aussicht auf Hochzeit befinden, beschäftige ich mich nun explizit mit der Frage nach der perfekten Zweisamkeit. Manche von uns laufen seit Jahren ein- und derselben Person über den Weg. Da es sich meist um ein flüchtiges, wenn auch intensives Wiedersehen handelt, könnte man es auch als eine Art "langanhaltende Dating-Phase" bezeichnen. Stehen diese Dates dann wie aus dem Nichts vor einem, kommen mit ihnen die Erinnerungen an die letzten gemeinsamen Stunden in einem Café in Paris oder bei einem Museumsbesuch oder an das gemeinsame Erwachen im Hotel wieder. Diese Form der Kurzweiligkeit bringt mich zu folgender Frage: Woran erkennen wir, dass es die große Liebe ist? Bzw. woran erkennen wir das derjenige, für den wir uns geradezu aufopfern würden, auch all jene Opfer Wert ist?
Eine Freundin sagte neulich zu mir: "Bevor Du für andere Opfer bringst, solltest Du erstmal lernen, Dich zu lieben." Klingt logisch, nett und weise, aber wie erkläre ich mir dann folgende Situation: Als ich heute in der U-Bahn VOGUE, FAZ und SZ im Wechsel las, betrachtete ich noch etwas anderes - mein Gegenüber. Er hatte "Amore" auf die Hand tätowiert und das Leben tätowierte ihn mit einem Rollstuhl und Sauerstoff-Anschluss. Ich fragte mich, wie es sein kann, dass jemand, der sich ein solch magisches Wort verewigen lässt, auf ewig mit einer Behinderung leben muss. Kurz vor dem Ausstieg lächelte er mich an, als wollte er mir sagen: "Hey Junge, mir geht es gut. Hab einen schönen Tag." Hatte er etwa trotz Stigmata die Liebe mit sich selbst gefunden? Es war unvorstellbar für mich.
Höhen und Tiefen, Erfolge und Missverfolge entscheiden oft über das Leben eines Menschen. Wenn ich an das Leben von Yves Saint Laurent und seinem Partner Pierre Bergé denke, so gab es wohl zahlreiche Hürden, die es zu überwinden galt: der Beginn bei Dior, der fanatische Ruhm des jungen Yves, die Einberufung zum Wehrdienst, der darauf folgende Aufenthalt in der Nervenheilanstalt, die fristlose Kündigung bei Dior, der Rechtsstreit, das Aufbauen eines neuen eigenen Couture Hauses, jahrelang Depressionen, ein Leben auf der Überholspur und Ideen eines Genies... all das prägte laut Biografien das Leben des Designers und somit auch seines Partners Bergé. Manchmal bei den politischen Debatten um Adoptionsrecht oder Regenbogenfamilien frage ich mich, wie hat wohl der verstorbene Designer darüber gedacht. Hatte er sich eine Familie gewünscht? Darüber habe ich nie etwas gelesen.
Nun aber wird sein Leben verfilmt. Zum einen steht der französische Schauspieler Gaspard Ulliel für den Film "Saint Laurent" vor der Kamera und zum anderen für den Film "Yves Saint Laurent" der mit dem Cesar zum besten Nachwuchsdarsteller ausgezeichnete junge Pierre Niney. Letzteres Projekt wurde von keinem anderen befürwortet als Pierre Bergé selbst. Man wird somit sehr gespannt sein dürfen, wie unterschiedlich der verstorbene Designer Yves Saint Laurent dargestellt wird.
Ich jedenfalls freue mich schon sehr auf beide Filme. Und wer weiß: Vielleicht habe ich ja hierzu ein Date! Das wäre dann ganz großes Kino!
(Trailer und Kinostart sind noch nicht bekannt)
Photo: Yves Saint Laurent Courtesy of Films Distribution, Yves Saint Laurent Courtesy of Mandarin Pictures - via REFINERY 29
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Kommentare

  • Tina sagt:

    Danke, Jérôme, für diesen wunderbaren und offenen Einblick in Deine Welt.
  • Kreti sagt:

    wunderbar geschrieben...man denkt kurz: Carrie ist mänlich geworden! Ich hoffe Du verstehst es als das Kompliment, als das es gemeint war!
  • Kath sagt:

    Schöner, interessanter Artikel! Ich mag deinen Schreibstil sehr. 🙂
  • Gry sagt:

    Vielen Dank für diesen Artikel und deine Offenheit, Jerome. Wenn man die grosse Liebe begegnet, weiss man es einfach, man kann sich nicht darauf vorbereiten, oder es umschreiben. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch perfekt ist, so wie er ist, selbst wenn er/sie nicht makellos ist. Also wenn du dich so akzeptieren kannst, wie du bist, kannst du dich auch lieben.

    Ganz LIEBE Grüsse von mir schon mal,

    G


  • c sagt:

    Jérôme lust einen trinken zu gehen?
  • Dario sagt:

    Könnte auch aus Sex and the City seien. Aber guter Bericht, sehr persönlich.
  • Jérôme sagt:

    Vielen lieben Dank für die netten Kommentare. Ich freue mich sehr.
    @Kreti: Danke für die Blumen!
  • mainlandoffice sagt:

    Toll, ich bin seit heute auch Patentante!!!!!
  • Jérôme sagt:

    Nä! Mainland, herzlichen Glückwunsch!! Wie toll ist das denn??

    Alles, alles Liebe!


  • mainlandoffice sagt:

    ja, das ist spitze - ich freu mich total!!! dir auch herzlichen glückwunsch...
  • Jérôme sagt:

    Danke =)

    Morgen entbindet meine Sandkastenfreundin... was für ein Monat!

    Mainland, wir sollten dann mal Spielplatzbesuche machen. Ich in Tom Ford und Du in Victoria Beckham! 😉


  • C sagt:

    @Jerôme : heißt das dann nein?