Wie sich Weltpolitik in Mode niederschlagen kann
Vergesst bitte mal das Ganze "See now, buy now"-Gerede und denkt an die normalen Lieferrhythmen der Modeindustrie. Was derzeit in unseren Läden hängt, wurde von Januar bis März 2016 auf den Laufstegen gezeigt. Die Inspirationen zu diesen Kollektionen spiegeln das Weltgeschehen vom Oktober bis Dezember 2015 wieder. Und genau diese Zeit war geprägt von Attentaten: 10. Oktober Anschlag in Ankara (102 Tote), 31. Oktober Sprengstoff-Explosion eines russischen Passagierjets (224 Tote), 12. November Anschlag in Beirut (43 Tote), 13. November Anschlagserie in Paris (130 Tote), 18. November Attentat in Sarajevo (2 Tote) und 20. November Anschlag auf ein Hotel in Bamako (22 Tote). Im Fernsehen sah man damals nur noch Militär und Polizisten in Körperschutz-Ausrüstung.
In Paris, London und New York, wo viele der Designer leben, ist die Militärpräsenz auf den Straßen seitdem stark angestiegen. Noch heute stehen zwei, von oben bis unten bewaffnete Soldaten (mit Maschinengewehr im Anschlag) in Camouflage-Schutzkleidung und schusssicherer Weste vor der Schule von Babyoffice, wenn ich ihn morgens hinbringe und abends abhole. An das Militär in der Stadt haben wir uns in Paris längst gewöhnt. Es gehört zum normalen Straßenbild.
Genau aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass Designer in dieser Wintersaison von Militäroutfits inspiriert wurden. Das ging sogar soweit, dass Modelle, die den kugelsicheren Westen sehr ähnlich sind, plötzlich über die Laufstege flanierten.
Bei manchen Kollektionen sind die Designs ganz nah ans Original angelehnt (natürlich ohne die jeweiligen, kugelsicheren Funktionen), manchmal aber wurden nur Details übernommen, wie Zipper über der Brust, die eckige Form mit breiter Schulterpolsterung, schmaler Korpus oder aufgenähte Taschen.
Manche griffen sogar auf die Urversion der kugelsicheren Weste zurück: das Kettenhemd aus der Ritterzeit.
J.W. Anderson ging mit seinen Designs einen Schritt weiter, ersetzte die quer über die Brust gelegten Munitionsgurte durch Pelz und kombinierte sie zum Trenchcoat, der seine modische Karriere als Militärmantel im Grubenkrieg des Ersten Weltkriegs begann.
Wie soll man dieses Design deuten? Sicherlich sind manche Modelle als Mahnung gegen das Vergessen der Attentate zu deuten oder als Solidaritätsbekundung an die Sicherheitskräfte zu verstehen. Vielleicht wollen manche Designer auch ein Gefühl von Sicherheit durch diese Art Kleidung vermitteln.
Letzteres hat der Kultladen L'Eclaireur in Paris im Sinn: Der Shop hat seine Bestseller-Weste Shigoto eine kugelsichere Variante verpasst. Der Gründer der international tätigen Ladenkette Armand Hadida sagt: "Es ist eine Sicherheitskleidung mit einer luftdichten Protektion, ganz leicht und gedacht als Schutz gegen plötzliche Aggressionen." Naja, Kugeln hält dieses Teil wohl nicht ab.
Ob man diese modische Umsetzung einer Polizei- und Militär-Schutzkleidung nun gut findet oder verwerflich, lasse ich mal dahin gestellt. Tatsache ist, das Modell kugelsichere Weste hat die Mode erreicht. Ich persönlich finde es gut, wenn Modedesigner aktuelles Weltgeschehen aufgreifen und in ihre Kollektionen – wie auch immer – verarbeiten.
Inspiration: kugelsichere Weste in der Herrenmode
Inspiration: kugelsichere Weste in der Damenmode
Nicht nur bei den Herren, sondern auch in der Damenmode sah man Modelle, die – wenn auch viel spielerischer und weiblicher – Elemente der Schutzkleidung von Militär und Polizei aufgreifen.
Dass der Handel, also die Modeläden, dieses delikate bis schwierige Modethema nur spärlich bis gar nicht geordert, hat, war klar. In der Shoppinggalerie findet Ihr daher vor allem Modelle, die nur Detailinspirationen der kugelsicheren Weste aufgreifen:

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Photo Credit: Catwalkpictures
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