Die Trachten-Glosse: Jetzt macht's mal halblang!
Manchmal frage ich mich aus dem fernen Paris, ob das Oktoberfest in München eigentlich irgendjemand, der NICHT in Bayerns Hauptstadt wohnt und/oder NICHT vorhat, dieses "größte Volksfest der Welt" zu besuchen, überhaupt interessiert. Nun ist seit letztem Wochenende "o'zapft" und nun wird "g'suffa", auf Instagram sehe Kathrin in fröhlicher Runde mit einer Carmen-Trachtenbluse. Welche Münchner Designerin mit Zweitwohnsitz in Mallorca dieses Bluse in den 80ern erfunden hat, würde ich auch gerne wissen. Oder ist es gar eine Erfindung einer Zuagroasten? Egal. Uns Modepilotinnen war das Thema Oktoberfest in den letzten Jahren immerhin so wichtig, dass wir fast jedesmal irgendwas Geistreiches oder auch weniger Geistreiches abgelassen haben (Siehe dieser Link!). Welche Zielgruppe wir damit erreichten, lasse ich jetzt mal dahin gestellt.
Isabelle hat fleißig im Vorfeld der diesjährigen Bierlaune keine Mühen gescheut, tiefgehende Recherchen zum G'wand zu unternehmen: Hier gehts zum Artikel Zwischen Verführung und Verfehlung und hier zu den nun endlich aufgeklärten Dirndl-Mythen. Das hat sie wirklich super gemacht – so als Preißin. Der gebildete Leser weiß, dass die patriotischen – oder soll ich gar sagen – chauvinistischen Bayern den Rest der Welt, also alles jenseits der Main-Linie, in diese Kategorie subsummieren. Kurzum: Vor Isa aus Frankfurt am Main, leider auf der falschen Flussseite geboren, ziehen wir den Hut. Oder mal ganz kurz gesprochen: Chapeau! Denn wir Bayern erinnern ja gerne, dass wir seit Napoleons Besatzungszeit "auch auf Französisch parlieren kenna", versteht's?
Aber ich schweife mal wieder ab. Also zurück zum eigentlichen Problem:
Der Ver-Karnevalisierung der Tracht!
Im Internet tummeln sich Trachten-Online-Stores, bei denen mir ganz schummrig wird. Wie hier der Trachtenwahnsinn. Ja, der Name passt.
Und als Deko eignen sich immer gerne mal ein paar Hirsche, Eicheln, Herzerl oder Bambis. Wie hier bei Lola Paltinger, deren Dirndl es sogar in die Vogue geschafft haben und von Selma Hayek bis Paris Hilton getragen werden. Sind da nicht schon genügend Eyecatcher auf dem Dirndl, braucht es da noch das Reh-Kitz?
Bei der Grazer Designerin Lena Hoschek werden viele ihrer Dirndl-Modelle nur in Wien und Graz verkauft. Warum eigentlich? Oder will die Designerin uns damit eine geheime Botschaft übermitteln?
Andere schönere Modelle in ihrem Online-Store haben das Zeug zum Klassiker, aber werden durch Produktnamen verunglimpft, die eher doof als lustig sind. Hat mein Favorit, ein weinrotes klassisches Dirndl mit blauer Schürze, einen Namen verdient wie "Hüttengaudi Dirndl"? Nein. Das arme G'wand.
Das Designerdirndl als Kollektions-Schmankerl
Kaum eine Frauenzeitschrift lässt sich die Chance entgehen, beim Dirndl-Boom mitzuverdienen. Die Elle preist Dirndl ab 60 Euro an, nur kostet keines der angeboteten Modelle so wenig. Statt dessen wird auch dieses Modell gepriesen: von Odeeh für 769 Euro.
Womit sich für mich schon wieder neue Fragen stellen: Warum designed Odeeh überhaupt Dirndl? Ja, saxendi, Schuster bleibt bei deinen Leisten! (Hinweis: Für Übersetzungen des O-Ton Süd ins Hochdeutsche möge man bitte das bayerische Online-Wörterbuch zu Rate ziehen) Da wollen die deutschen Designerfirmen immer cool sein und ringen um internationales Renomee und dann tummeln sich in der Designerkollektion Dirndl? Das ist doch kontraproduktiv fürs Image. Überlasst das Geschäft doch denen, die es schon seit Jahrzehnten oder noch länger machen. Und auch besser können. Also Firmen oder Schneiderinnen wie Christine Falken vom Schliersee, die schon Dirndl schneiderten als nur ECHTE Bayern und keine Zuagroasten in Tracht aufs Oktoberfest gingen. Damals, lange ist es her, als ich noch vom Tegernsee die weite Reise in die große Stadt antrat (mit der Pferdekutsche), um dort einmal im Fahrgeschäft (sic!) "Rund um den Tegernsee" zu fahren. Wer diese Oktoberfest Attraktion noch nie genossen hat, darf eigentlich gar nicht erwähnen, dass er "auf der Wies'n" war. Das ist Kult und das gehört dazu. Eine Runde in diesem stinklangweiligen Schnarchnasen-Karussell ist oder besser SOLLTE als Eintrittskarte vor jedem Bierzelt kontrolliert werden.
A propos Bierzelte: Was höre ich da in der Ferne aus der Heimat? Ohne Reservierung geht gar nichts mehr, auf den Tischen wird auch nicht mehr getanzt, die Italiener und Holländer zeigen keine nackten Brüste mehr? Oh mei, zünftig ist was anderes. Ich kann leider nicht nachprüfen, ob es heute wirklich so gesittet zugeht in den Zelten, denn die Camera Nazionale della Moda Italiana und das Chambre Syndicale de la Haute Couture et Prêt-à-Porter haben scheinbar noch nie etwas vom Oktoberfest gehört und boykottieren systematisch meinen Besuch mit ihren Modeschauen. Das zum Thema Designer-Dirndl und seine Berechtigung.
Fakt ist: Ich war schon lange nicht mehr auf der Wies'n, aber wenn es nicht mehr zünftig ist, muss ich wohl auch nicht mehr hin. Ich erhalte mir stattdessen meine schönen Erinnerungen: stehend auf dem Bänkchen, rechts einen Australier und links einen Italiener im Arm, denen beiden ich die hochintellektuellen Verse der Wies'n-Songs beibrachte. Please repeat after me: "Schau hi, da liegt a toter Fisch im Wasser, den mach' ma hi, den mach' ma hi. Schau hi, ..."
Meine beiden Bierzeltnachbarn waren sehr lernbegierig bis die Holländerin schräg gegenüber das T-Shirt lupfte (ohne BH drunter versteht sich!). Da war es um sie geschehen und ihre Mass kippte – naja, wohin ist wohl klar. Womit ich beim nächsten Punkt in Sachen Tracht auf dem Oktoberfest angekommen wäre. Das Material!
Die Wies'n als Dirndl-Crash-Testlabor
Ein ordentliches Alltagsdirndl ist aus ??? Na??? Genau: Baumwolle! Seidenbrokat, Taftseide etcetera sind feierlicheren Anlässen vorbehalten: Hochzeit, Taufe, Gala-Abend etc. Denkt doch nur mal an die Flecken, die man sich auf der Wies'n holt. Was? Bier macht keine Flecken? Stimmt, aber wer will schon mit einer Bierfahne in den Rockfalten rumlaufen. Und dann die Fettflecken vom Hendl! Nicht zu vergessen die Kaffeeflecken vom Käfer's Zelt!
Aber solche Gefahren werden scheinbar armen Zuagroasten hinterhältig von bayerischen (provisionsgierigen) Verkäuferinnen verschwiegen. Je mehr Seide, desto teurer das Dirndl. Mit der Folge, dass arme Unschuldige, wie meine Freundin aus Trier, in München lebend, und einen hohen Posten im Management inne habend, mich eines Tages fragte: "Du, ich habe da ein langes Dirndl aus schwarzem Seidentaft bei Lodenfrey gesehen. Das kaufe ich doch für die Wies'n, oder?" Als gebürtiger Tegernseer ist man scheinbar per Geburt eine Art bayerische Trachten-Koryphäe und daher stammelte ich ein bisschen rum und sagte dann leise: "In den Zelten ist es doch immer so dreckig. Denke bitte auch an die Besoffenen!" Die Antwort: "Du, ich stehe ja nicht auf den Bänken! Die Firma hat eine Box gebucht, da kann nichts passieren!" Ja, Himmel einer. Wie langweilig ist das denn? Und was passiert, wenn sie aufs Klo muss? Seidentaft im Bierzelt! Ja, schmeißt doch Euer Geld gleich zum Fenster raus!
Vor allem – und nun komme ich zum nächsten Punkt: Meine Freundin besaß schon mehrere Dirndl. Die Begründung: "Ich kann doch nicht immer mit dem gleichen auflaufen und das andere hatte ich schon letztes Jahr an!" Hä? Also, wie viele Dirndl braucht man denn – fürs Oktoberfest? Und braucht man wirklich jedes Jahr ein Neues, weil sich die Moden so häufig ändern? Wirklich? Tun sie das denn? Sie tun es, wie ich mich schon 2013 in diesem Artikel wunderte. Aber zwei Jahre später zeigt sich auch: Kurzfristige Dirndl-Moden halten sicht nicht lange. Also reicht doch nur eines, maximal zwei?
Jetzt machst's doch mal halb lang!
Was man auf Neudeutsch übersetzen könnte mit: Take it easy! Ich sage nun mal frech: Zwei reichen. Dicke. In unterschiedlichen Farben und unterschiedlichen Ausschnitten, einmal hochgeschlossen und einmal mit Dekolleté. Dazu kauft man sich drei bis fünf Schürzen und fertig ist die G'schicht! Auf das Thema Schuhe fürs Dirndl, Blusen unter'm Dirndl, sowie Joppen und Strickjacken zum Dirndl gehe ich lieber gar nicht ein. Wer will, kann ja Kathrin mal zu ihrer Trachten-Carmen-Bluse befragen. Muss er aber nicht. Und wer Lust hat, soll von mir aus Turnschuhe zur Tracht anziehen. Oder die Designer-Kaschmir-Strickjacke.
Auch bei der Tracht gilt: Crossdressing ist erlaubt, wenn es denn gefällt und Euch Spaß macht. Macht Euch locker und mixt. Das ist in meiner Betrachtung nach, sowieso die modischste Art mit Tracht umzugehen. Tracht darf nicht zur Wissenschaft erhoben werden. Wen interessiert schon, wo und wie die Schürze gebunden ist und ob die Haferlschuhe zur Hirschledernen passen. Und wer gar keinen Bock drauf hat, der geht eben in Jeans auf die Wies'n!
Eine mögliche Regel könnte sein: Wem es egal ist, ob er als Squaw in den Karneval zieht oder im Dirndl auf die Wies'n geht, der soll lieber die Hände von der Tracht lassen. Wer sich aber im Dirndl beglückt vor dem Spiegel dreht, weil er sich so sexy findet, der darf ruhig noch mehr kaufen, als er braucht. Aber dann bitte auch vor und nach den bierseeligen Tagen tragen.
Wen's interessiert: Ich, gebürtig von einer DER Trachendestinationen Deutschlands und als Kind kommuniziert oder soll ich sagen malträtiert in einem schneeweißen, extremst kratzenden Leinen-Dirndl mit Schoßerl (einmal und nie wieder), besitze heute ein einziges Dirndl. Mehr brauche ich auch nicht. Ich habe es mir mit 19 Jahren anfertigen lassen. Es ist aus Baumwolle. Man kann es mit und ohne Bluse tragen, weil es bis zum Hals hochgeschlossen ist. Irgendwie gibt es diese Modelle gar nicht mehr, dabei sind die für flachbusige Frauen, die zu ihrer Körbchengröße A stehen, perfekt. Der Rocksaum ist großzügig mehrmal eingeschlagen (rund 40 cm verstecken sich noch in meinem Rock) und kann je nach Moden gekürzt oder verlängert werden. Ich habe ihn bis heute noch NIE verändert. Mein Dirndl ist gefüttert. Das riet mir meine Mutter, Gott hab sie seelig, und Mama hatte Recht: Es muss rascheln beim Gehen! Da ich mit 19/20 Jahren etwas dünn, na, sagen wir mal sehr dünn war (45 Kilo), wurden ins Mieder oben großzügig die Abnäher in Falten gelegt. Die Schneiderin wusste schon, dass es mit meinem Gewicht nicht so weitergehen konnte. Das alles sind Punkte, die man beim Kauf oder bei der Anfertigung beachten sollte. Ein Dirndl kann auf diese Weise eine Anschaffung fürs Leben werden. Übrigens: Ich erwäge beim Zweit-Dirndl mal eines von der Stange auszuprobieren … fürs Waldfest wohlgemerkt. Denn wenn die in Mailand und Paris nicht endlich den Schauenplan dem Münchner Volksfest-Kalender anpassen, dauert es noch ein bisschen mit meinem nächsten Wies'n-Besuch. Und wer weiß, vielleicht poste ich dann ganz hektische "Welches Dirndl soll ich anziehen?"-Posts. Ne, das ist eher unwahrscheinlich.
Viel Spaß auf der Wies'n. In egal welchem Outfit!

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Photo Credit: Titel: Christine Falken, Schliersee, Screenshots: Lodenfrey, Trachenwahnsinn, Kinga Mathe, Lola Paltinger; Video: Barbara Markert für Modepilot
Kommentare
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pfiat di!