Die tödlichen Zahlen billiger Kleidung

Ein Paar bedeckt mit Staub und Schmutz. Es liegt unter Trümmern aus Stahl und Stein begraben. Blut läuft über das Gesicht des Mannes, wie eine Träne, an den geschlossenen Augen entlang. Er schlingt die Arme um sie, ihr Kopf ist unnatürlich nach hinten gedreht. Sie sind zwei von mehr als 1100 Menschen, die vor genau drei Jahren, am 24. April 2013, bei dem Einsturz eines Fabrikgebäudes in Bangladesch ums Leben kamen. Über 2000 weitere Näherinnen und Fabrikarbeiter wurden beim Einsturz der baufälligen Ruine schwer verletzt.
Aus diesem Grund wurde der weltweite Fashion Revolution Day ins Leben gerufen, eine Bewegung, um das Bewusstsein für soziale und ökologische Standards in der Textilindustrie zu schärfen.
Die tödlichen Zahlen billiger Kleidung
1. Jeder Deutsche kauft im Schnitt rund 60 neue Teile pro Jahr, nur etwa die Hälfte wird regelmäßig getragen und rund 15 Kilo Kleidung "verbraucht" der durchschnittliche Deutsche im Jahr - das heißt, diese Menge wird gekauft und wieder weggeworfen.
2. Preiskalkulation eines T-Shirts
Der Verkaufspreis sagt nichts über die Herstellungsweise und Herkunft der Stoffe aus - viele Luxuslabels produzieren genauso unfair wie Fast Fashion Filialisten. Umgekehrt kann man auch in Bangladesch fair und nachhaltig produzieren: Nur noch teure Kleidung zu kaufen, ist also nicht die Lösung. Aber fair und transparent kalkulierte Mode schon.
Fast Fashion
Verkaufspreis: 4,95 Euro
60 Cent für 400 g Baumwolle, die für die Herstellung eines durchschnittlichen T-Shirts benötigt wird
95 Cent kostet die Produktion von der Rohbaumwolle bis zum fertigen T-Shirt
6 Cent kostet der Transport eines T-Shirts
2,74 Euro berechnen Experten für Filialmiete, Gehälter der Angestellten, Steuer, Werbungskosten etc.
Gewinn: 60 Cent
Hess Natur
Verkaufspreis: 19,95 Euro
6,95 Herstellungskosten
9,54 Unternehmenskosten (Werbung, Ladenmiete etc)
3,19 Mehrwertssteuer
Gewinn: 27 Cent
Hess Natur schneidet regelmäßig mit Bestnoten in Untersuchungen zur Unternehmenstransparenz und Umweltverträglichkeit ab, daher habe ich das Beispiel gewählt. Man munkelt übrigens, dass demnächst ein Berliner Jungdesigner bei Hess Natur am Werk sein wird.
3. Zu geizig für Biobaumwolle? Laut WHO ( Weltgesundheitsorganisation) sterben jährlich etwa 28.000 Menschen durch Pestizide im Baumwollanbau. Für kein anderes landwirtschaftliches Anbauprodukt werden so viele Pflanzengifte eingesetzt wie bei der Baumwolle.
4. Für die Herstellung eines einzigen T-Shirts (Reinigung, Färbung etc.) verbrauchen Hersteller durchschnittlich 2.700 Liter Wasser, es können aber auch bis zu 15.000 Liter sein (zum Vergleich: eine Badewanne fasst 140 Liter; für ein Kilo Rindfleisch werden circa 16.000 Liter Wasser benötigt).
5. In den USA gibt es noch rund 25.000 Baumwoll-Farmer. Sie konkurrieren mit etwa 18 Millionen Baumwollfarmen in Afrika, Indien etc. und wurden mit etwa 25 Milliarden Dollar subventioniert - mit entsprechenden Auswirkungen auf die Weltmarktpreise.
6. Die Textilindustrie in Bangladesch produziert rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 80 Prozent der gesamten Exporterlöse. Sprich: Boykottieren wir die Produkte aus diesem Land, bedroht man die Lebensgrundlage vieler Menschen. Die Produktion in Entwicklungsländern muss nicht abgeschafft sondern verbessert werden.
Statt dem allseits beliebten "Pelz-Shitstorm" wünsche ich mir mal einen so richtig fiesen Baumwoll-Shitstorm (siehe Punkt 3). Was machen wir nun? Mango und Primark boykottieren? (siehe Punkt 4). Nur noch "Made in Germany" kaufen? Das ist auch nicht die Lösung, wie Barbara bereits zum vergangenen Fashion Revolution Day aufgschlüsselt hat.
Fangen wir doch einfach mit dem Hashtag #whomademyclothes an:
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Photo Credit: Fashion revolution day, screenshot Doku 3 Sat
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Charlotte sagt:

    Schon bevor ich den Text zu Ende gelesen hab, wollte ich was zu Pelz versus Baumwolle schreiben. Aber siehe da, Isabelle hat das schon selber kommentiert.
    Die meisten Menschen haben keine Ahnung von Baumwolle und ihrer Produktion und auch die Wasserzahlen sind hoch, können aber von wenig Menschen irgendwie von der Menge registriert werden.
    Ich war 2012 während der Zeit der Baumwollernte in Usbekistan (einer der größten Baumwollproduzenten der Erde). Währned ich an der Uni einen Sprachkus besuchte, waren wir die Einzigen vor Ort. Es waren keine Ferien, aber ALLE Studierenden waren zur Ernte abkommandiert worden. Wenn diese sich weigerten, standen erst die Dozenten und dann die Polizei vorm Haus. -- Ist ja keine Kinderarbeit, ist ja nicht schlimm...
    Baumwolle wird in Usbekistan größtenteils per Hand gepflückt. Damit sie sich einfacher pflücken lässt, wird vorher per Flugzeug Entlauber drüber gekippt. Sehr beliebt ist hier "Agent Orange". Das gibt dem netten Wort Pestizid einen unschönen Beiklang oder?
    Das der Aralsee so ausgetrocknet ist und von Jahr zu Jahr eine menschenfeindliche Salzwüste größer wird? Das sind die 12.000 Liter Wasser pro T-Shirt die für den Anbau gebraucht werden.
    Das Tierquälerei schrecklich und nicht fördernswert ist - Ja. Keine Diskussion. Aber ich trage gerne meine Pelzjäckchen von meiner Oma auf. Dafür mussten Tiere sterben. Wahrscheinlich auch nicht gerade einen schönen Tod. Aber wieviele zigtausende Tieren und Menschen jedes Jahr unter "Pestiziden" zu leiden haben (Krankheiten, Tod, Lungenprobleme...) wird gerne vergessen, wenn man sich als Person prostiv gegen Pelz positionieren kann.
    Also danke Modepilot für den Artikel 🙂
    • Barbara Markert sagt:

      Liebe Charlotte. Danke für diesen tollen Kommentar. Das ist genau das, was wir hier auch ständig schreiben. Ein ausgetrockneter Aralsee lässt mehr Tiere elendig zugrunde gehen als Tiere in der Jagd geschossen werden. Von der Umweltfolgen einer solchen Katastrophe mal ganz zu schweigen. Und zu Agent Orange: So hieß das damals auch im Vietnamkrieg. Wer heute mal nach Saigon alias Ho Chi Min City fährt, sieht an den Straßen die von Geburt an verkrüppelten Menschen, die heute noch ein lebendiges Mahnmal gegen diese Giftattacken sind.
  • Alicia sagt:

    Wirklich SEEEHR toller Beitrag!!!
  • StephKat sagt:

    Liebe Isabelle, vielen Dank für diesen wichtigen Artikel! Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Menschen ihr Kaufverhalten reflektieren, obwohl ja eigentlich schon viel in der Presse berichtet wird. Wir versuchen es anders zu machen, wir produzieren in Deutschland und ausschließlich mit zertifizierten Bio-Garnen. Aber es ist nicht einfach, wir müssen unsere Preise immer wieder erklären. Und die Presse berichtet gerne über die schlimmen Zustände in Bangladesh, nicht aber über Labels wie uns, die es anders machen.