Das will ich nicht mehr auf der Haute Couture sehen!
Seit elf Jahren bin ich live auf der Haute Couture Woche dabei. Sprich ich habe 22 Saisons hinter mir und den Tiefpunkt der Branche miterlebt, als traditionelle Mitglieder und wichtige Modehäuser ihre luxuriöseste Kollektion aufgaben: Givenchy, Yves Saint Laurent, etcetera Sie sind nicht mehr dabei und haben große Lücken hinterlassen. Kurze Zeit sah es so auch, als ob das ganze Genre begraben wird. Von ehemals 30 offiziellen Haute Coutures Maison gab es nicht mal mehr zwei Hände voll.
Da zog das Chambre Syndicale, Hüter dieses Segment, die Reißlinie, lockerte die Zugangsbedingungen und öffnete die Haute Couture für junge Talente, die nun auch nicht mehr unbedingt ihr Atelier in Paris haben müssen. Didier Grumbach, der einstige Präsident des Chambres, schaffte es, die Haute Couture vor dem Verschwinden zu retten. Mit Designern wie Alexandre Vauthier, Stephane Rolland, Iris van Herpen, Dice Kayek, Rad Hourani, Bouchra Jarrar, Yiqing Yin, Maison Margiela Artisanal und Giambatista Valli zog eine neue Garde ein, die es anders machte und die für frischen Wind sorgte. Parallel verjüngten sich die Flagschiffe der Branche wie Dior, Valentino und Chanel. Sie passten sich der Neuzeit in der Haute Couture an - mit oder ohne Designerwechsel.
Wo stehen wir heute? Die Haute Couture hat sich berappelt – auch finanziell dank neu aufgekommener Märkte (Rußland, Südamerika, Arabien). Doch diese Klientel ist volatil. Die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen zeigen es. Die neue Kundschaft kann flugs wieder abhanden kommen. Die ökonomischen Zyklen ändern sich schneller als früher und die Branche muss darauf reagieren. Aber wie? Mit einer Mode, die unserer Zeit entspricht. Die auch im Alltag getragen werden kann, denn die Zeit der großen Partys ist vorbei. Bälle gibt es kaum noch und Prinzessinnen sind auf der Welt auch eher rar gesät.
Aber es gibt immer noch genügend reiche Leute, ob jung oder alt. Sie können es sich leisten, Haute Couture in der Disko, beim Cocktail oder sogar im Büro zu tragen. Für diese Kundschaft muss man heute schneidern. Und genau deswegen will ich solche Roben, fern der Realität nicht mehr auf dem Laufsteg sehen. Von mir aus kann man sie im Atelier zeigen für die Kundschaft aus den arabischen Ländern, die es gerne üppig, gülden und märchenhaft wollen. Aber auf dem Catwalk will ich überrascht werden, Neues sehen. Die Haute Couture muss zurück finden zu ihrer Rolle als Labor für neue Stoffe, neue Schnitte, neue Silhouetten und Fertigungen. Roben, die man eben nur per Hand realisieren kann. Das Savoir Faire muss im Dienste der Neuzeit stehen, man darf nicht Altes wiederkauen. Denn sonst passiert genau das, was mich angesichts solcher Kleider ergreift: Unendliche Langeweile!
Kurzum: Ich will keine typischen Märchenroben, die vergangene Epochen wiederkauen, mehr sehen. Der einzige, bei dem ich alle Bedenken weg stecke und mich einfach nur berauschen lasse, ist Elie Saab und seine Märchenkleider. Doch das ist sein Stil: Er hat nie etwas anderes gemacht und wird das auch nie ändern. Ihm geht es einzig und alleine um Handwerkskunst und die Fertigkeit seiner Näherinnen, die wahre Künstlerinnen darin sind, Motive in Perlen, Pailletten und Kristallsteinen umzusetzen.
Doch gerade junge Designer sollten es moderner können, frischen Wind rein bringen. Es kann doch nicht sein, dass ein 81Jährigeer Karl Lagerfeld mehr am Puls der Zeit ist als ein Mitte Dreißiger!
Fotos: Catwalkpictures

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Kommentare
Liebe Jana,
niemand spricht von Kommerzialisierung oder der Anpassung der Haute Couture an den Alltag. Am allerwenigstens ich. Eine mögliche Kommerzialisierung, wie Du sie ansprichst, sind genau diese gezeigten Kleider. Die schauen wirklich manchmal aus wie von der Stange. "Mode ist bleibt immer noch eine Art Kunst", schreibst Du. Genau! Und deshalb gibt es Designer wie Karl Lagerfeld für Chanel. Raf Simons für Dior, Viktor & Rolf und alle, die ich oben genannt habe. Sie erneuern die Haute Couture, sie machen Kunst und sie entwerfen Kleider, die wegweisend sind. Haute Couture muss und soll in meinen Augen auch nicht tragbar sein. Was Margiela mit ihrer Artisanal macht, das ist Haute Couture. Was Vktor & Rolf gerade eben erst gezeigt hat: Blumen aus dem 3-D Printer, das ist Haute Couture. Wie geil ist das denn? Das ist genau, was wir heute brauchen. Kleider wie moderne Märchen, die etwas erzählen, die uns Träumen lassen in der Neuzeit - nicht die uns zurückführen zur Zeit der Kutschen und Gaslampen. Haute Couture für eine moderne Zeit, nämlich die unsrige, hat nichts mit Alltagstauglichkeit zu tun, sondern mit Modernität. Nichts mehr fordere ich und es gibt genügend, die das kapiert haben und wundervoll umsetzen können.
PS: Von Karl Lagerfeld gibt es fallweise auch ganz Schlimmes! Nur schreibt darüber vor lauter Götzenanbetung keiner.